Teenager
Organspende: Auf Leben und ...
Hanka Meves-Fricke · 24.04.2024
zurück zur Übersicht© ALL YOU NEED studio/Adobe Stock
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland mehr als 2.800 Organe transplantiert. Das heißt, dass über 2.000 Menschen die Chance auf „einen Alltag“ haben, wie es Lukas ausgedrückt hat. Er wartet auf eine Nierenspende und spricht im Podcast „Sag mal ...: Über Organspende reden“ offen darüber, wie es ihm geht. In diesem Podcast kommen junge Menschen zu Wort, die sich mit dem Thema beschäftigen, aber auch diejenigen, die mit einem Spenderorgan leben.
Das Team um Moderatorin Elena Bavandpoori lädt zudem Ärzt:innen und Fachleute aus der Lebendspendekommission und aus Ethikkommissionen zum Gespräch ein. Fragen wie Gerechtigkeit, religiöse Bezüge und ganz persönliche Entscheidungen stehen im Mittelpunkt.
Wir haben uns den Podcast angehört und mit Menschen gesprochen, die sich aus verschiedenen Gründen mit Organspende beschäftigen. Dabei haben wir festgestellt, dass es ein vielschichtiges und herausforderndes Thema ist.
Warum drüber reden?
Wer sich mit dem Thema Organspende beschäftigt, denkt zugleich über seine eigene Sterblichkeit nach. Das kann unangenehm sein. Darauf weist die Medizinethikerin Prof. Dr. Silke Schicktanz im Podcast hin. Dennoch meinen die Jugendlichen in der Diskussion, dass sie das Thema wichtig und auch in der Schule richtig angesiedelt finden. Doch auch für Lehrer:innen ist dies eine Herausforderung. Im Podcast „Sag mal ...“ gehen die Jugendlichen sehr offen mit dem Thema um. Sie sprechen über Ängste und ihr Interesse am Thema und machen damit deutlich, dass ein so intensiver Austausch über Pro und Kontra für eine persönliche Entscheidungsfindung hilfreich sein kann.
Warum Organspende?
Jedes Jahr warten Menschen, deren Organe nicht arbeiten, auf Spenderorgane. Patient:innen, deren Nieren betroffen sind und die deshalb eine Blutwäsche, eine so genannte Dialyse, benötigen, warten bis zu zehn Jahre auf ein Spenderorgan. Nur damit könnten sie, ohne mehrfach pro Woche diese anstrengende Behandlung über sich ergehen zu lassen, ihren Alltag leben. Und hier wird bereits deutlich, dass es zum Thema viele Fragen und viele Informationen gibt.
Lebend- oder postmortale Spende
Wer sich über Organspende informieren möchte, kann verschiedene Wege gehen: Einer ist, sich den Podcast „Sag mal ... Über Organspende reden“ anzuhören. Hier kommen auch Viktoriia und Lukas zu Wort, die beide eine Lebendspende von ihren Vätern erhalten haben, eine Niere. Dies bedeutet, dass sowohl Spender:in als auch Empfänger:in leben. Diese Spende ist für Nieren und Leber möglich, wird aber zumeist nur für Nierentransplantationen gewählt. Leberspenden sind für die organspendende Person wesentlich gefährlicher.
Eine postmortale Spende bedeutet, dass der:die Spender:in verstorben ist. Diese Spende ist jedoch nur möglich, wenn die Spender:innen hirntot sind. Das müssen zwei besonders qualifizierte Fachärzt:innen unabhängig voneinander erklären.
Geseltzliche Regelungen in Deutschland
In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Das heißt, dass Spender:innen ihren Willen zur Organspende schriftlich festhalten sollten. Das kann in einem Organspendeausweis oder in einer Patientenverfügung erfolgen. In anderenLändern, wie zum Beispiel in Österreich, gilt die Widerspruchslösung. Diese bedeutet, dass man schriftlich Widerspruch gegen eine Entnahme von Organen einlegen sollte, wenn man dies nicht möchte. Diese Regelung gilt auch in den Niederlanden und in England und hat dort zu mehr Organspenden geführt. In einigen Ländern gibt es Mischlösungen. Die Entscheidungslösung bei uns wird von manchen kritisiert, weil es einen großen Mangel an Spenderorganen gibt. In einer aktuellen Befragung hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung festgestellt, dass 84 Prozent der Befragten einer Organ- und Gewebespende aktuell eher positiv gegenüberstehen. Doch weniger als die Hälfte der Befragten haben dies schriftlich festgehalten.
Während für die Spende von Knochenmark zur Behandlung von Krebserkrankten eine Altersgrenze festgeschrieben ist, trifft dies bei der Organspende nicht zu. Ebenso gibt es keinen festgelegten Katalog von Krankheiten, die eine Organentnahme ausschließen. Die Ärzt:innen im Krankenhaus begutachten die spendenden Personen und entscheiden über eine Entnahme. Empfänger:innen können dann entscheiden, ob sie das Organ nehmen oder nicht.
Rolle der Krankenhäuser
Große Transplantationszentren in Krankenhäusern sind mit der Entnahme und dem Einsetzen von Spenderorganen betraut. Sie sind jedoch nicht für die Organisation zuständig. Das übernimmt die bundesweite Koordinierungsstelle für die postmortale Organspende, DSO. Sie organisiert alle Schritte von der Entnahme bis zur Übergabe an das Krankenhaus.
Viele Menschen machen sich Sorgen, dass sie schneller für tot erklärt werden, wenn sie einen Organspendeausweis haben, oder dass ihre Organe für den Handel verwandt werden. Hier hilft tatsächlich nur eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema, um sich selbst sicherer zu werden. Es gibt Argumente für einen Organspendeausweis oder das Aufschreiben des Willens in einer Patientenverfügung, aber letztendlich ist es eine persönliche und dabei auch emotionale Entscheidung.
Mein Leben, meine Entscheidung
Das wird auch im Podcast-Gespräch mit Prof. Dr. Silke Schicktanz, Präsidentin der Akademie für Ethik in der Biomedizin und Professorin an der Universität in Göttingen, deutlich. Fakten und Argumente können uns helfen, eine gute Entscheidung zu treffen. Aber es ist auch richtig, wenn man noch nicht einmal darüber nachdenken möchte, dass man selbst sterblich ist. Alina und Isabelle, die in diesem Teil des Podcasts zu Wort kommen, machen deutlich, dass sie noch gar nicht oder nur oberflächlich in der Schule darüber gesprochen haben. Doch gerade bei der Organspende, bei der es um Leben und Tod geht, sollte man sich Zeit nehmen, also ausführlich darüber reden oder eben nicht.
Eine freie Entscheidung ist bei diesem Thema nicht einfach zu definieren. Das ist eine Frage für Ethiker:innen. Prof. Silke Schicktanz meint, dass eine Entscheidung frei sein kann, wenn man gut informiert ist und dadurch selbstständig einen Entschluss fällen kann. Ein Druck in der Familie, unbedingt helfen zu wollen, würde hingegen nicht dazu führen.
Solidarisch handeln
Wenn man Organe spendet, tut man natürlich etwas Gutes. Dennoch entsteht auch eine Art Abhängigkeit zwischen Spender:in und Empfänger:in. Bei Lebendspenden handelt es sich zumeist um Eltern oder enge Verwandte und Freund:innen. Doch auch hier prüft eine Kommission, die ehrenamtlich besetzte Lebendspendekommission, dass eine solche Spende nicht unter Druck erfolgt, und verhindert so den Organhandel.
Diese Abwägung ist genauso wie bei der Bewilligung von postmortalen Spenden wichtig, weil jede Organspende für Spender:in und Empfänger:in ein Risiko darstellen kann. Darüber sollten beide Seiten informiert und aufgeklärt sein. Risiken bestehen natürlich bereits durch die Operation, aber ein Risiko kann auch sein, dass das Spenderorgan nicht angenommen wird und sich Spender:innen dadurch schlecht fühlen.
Wie lebt es sich mit einem fremden Organ?
Sowohl für Lukas als auch für Viktoriia ist das Leben mit einer Spenderniere vor allem eine Erleichterung. Die Dialyse fällt weg, die Müdigkeit danach auch. Interessant ist jedoch, dass Viktoriia davon erzählt, dass sie sowohl ihre kleinen, nicht funktionierenden Nieren als auch das Spenderorgan spüren kann. Nach der Operation müssen Empfänger:innen Medikamente nehmen, damit ihr Körper die Spende nicht abstößt. Diese Arzneien können Nebenwirkungen haben, vor allem auf das Immunsystem wirken und es schwächen. Lukas betont im Podcast jedoch, dass er diese Nachteile auf jeden Fall im Vergleich zur Dialyse gern hingenommen hat, denn er hatte bereits ein Spenderorgan, das sein Körper nach Jahren abgestoßen hat.
Glaube und Organspende
Es gibt tatsächlich Religionen, die sich gegen Organspenden aussprechen. Die großen Religionsgemeinschaften wie die christliche, die muslimische und die jüdische haben damit kein Problem. Für sie stehen die Gesundheit und das Leben im Mittelpunkt und damit ist auch eine Organspende gerechtfertigt. Darüber tauscht sich der Mediziner Dr. Muhammad Safar Al-Halabi mit drei jungen Menschen in der Episode 6 des Podcasts „Sag mal ...: Über Organspende reden“ aus.
Junge Helden – von Schulgesprächen bis zum Tattoo
Gründerin Angela Ipach (rechts), Opt.Ink, das Organspende-Tattoo © Dirk Laessig
Der Verein Junge Helden e. V. bringt Menschen aller Altersgruppen zusammen, die sich für Organspende enga- gieren möchten. Gegründet wurde er von Angela Ipach und ihrer Schwester Claudia Kotter, die selbst auf eine Organspende angewiesen war. Claudia war damals 18 Jahre alt und chronisch krank. Ihrer Schwester wurde zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass sie sich noch nie intensiv mit dem Thema beschäftigt hatte.
So trommelte Angela ihre Familie und Freund:innen an den Tisch, um das The- ma für junge Menschen anders anzugehen. Ihr war wichtig, dass man sich für oder gegen eine Organspende entscheiden kann. Angela Ipach und der Verein möchten dazu beitragen, dass jede:r sich ergebnisoffen damit beschäftigen kann.
Junge Helden besuchen Schulen und haben auf ihrer Website Informationen zusammengetragen. Sie haben prominente Unterstützer:innen ins Boot geholt und machen das Thema bekannt.
Ein Weg ist das Tattoo „Opt.Ink.” Bereits 6.500 Menschen haben es sich stechen lassen. Dies ist zwar kein offizielles Dokument wie der Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung, zeigt jedoch den Willen.
Vor Kurzem hat sich bei den Jungen Helden eine 78-Jährige gemeldet, die auf der Suche nach einem Tattoo-Studio war.
Organspende-Terminal in der Uniklinik Köln
Der Infoterminal zum Thema Organspende in der Uniklinik Köln © Klaus Schmidt
Seit Herbst 2023 gibt es in der Universitätsklinik Köln ein Infoterminal, das zum Thema Organspende informiert. Wir haben mit Stefanie Federhen vom Patienten-Informations-Zentrum (PIZ) gesprochen, die das digitale Beratungsangebot zu dieser sehr persönlichen Entscheidung begleitet.
„Es ist wichtig, dass sich Menschen entscheiden, ob sie ihre Organe spenden möchten oder nicht. Sonst werden im Fall einer möglichen Spende die Angehörigen gebeten, eine Entscheidung zu treffen – und das kann sehr belastend sein. Wir sind froh, dass wir zurzeit vor dem PIZ das Infoterminal haben und für das Thema Organspende sensibilisieren können. Die wichtigsten Fragen können bereits unmittelbar über das Infoterminal beantwortet werden. Tiefgreifende Information können wir dann bei uns leisten.“ Lehrende können mit ihren Schüler:innen ebenfalls kommen, um das Terminal zu nutzen oder sich im PIZ beraten zu lassen.
Jeder kann Organe spenden. Es gibt keine feststehende Altersgrenze", ergänzt Stefanie Federhen. „Auch Vorerkrankungen schließen eine Organspende nicht aus.“ Am Terminal selbst können sich Interessierte einen Organspendeausweis drucken, der mit der Unterschrift gültig wird. Spender:innen können entscheiden, welche Organe sie freigeben.
In der Zukunft sollen Organspende-Terminals auch in Bürgerzentren und an anderen Orten aufgestellt werden, damit sich Menschen über das Thema informieren können. Das Terminal in der Uniklinik Köln ist vom Netzwerk Organspende NRW e. V. initiiert und wird vom Gesundheitsministerium des Landes NRW unterstützt.
Eine schwere Entscheidung
Gabriele Schweigler vom Netzwerk Spenderfamilien e. V. ist es wichtig, dass die Spender:innen postum und die Familien und Freund:innen einen Dank erfahren. Das wünscht sie sich von den behandelnden Ärzt:innen, den Organempfänger:innen und insgesamt von der Gesellschaft. Ich spüre im Telefongespräch mit ihr, wie emotional herausfordernd die Organspende für sie ist, denn sie hatte selbst einmal darüber zu entscheiden. „Diese Menschen retten das Leben anderer Menschen“, erklärt Gabriele Schweigler. „Doch die Entscheidung zu einer Organspende ist nicht einfach. Ein Mensch, der hirntot ist, sieht lebendig aus. Zu entscheiden, dass Organe entnommen werden sollen, ist in dieser Situation für Familienangehörige und Freunde enorm schwer.“
Wenn ein Mensch sich selbst für eine Organspende entschieden hat, also über einen Organspendeausweis oder eine Vollmacht verfügt, dann ist es seine eigene, selbstbestimmte Entscheidung.
„Mir ist es wichtig, dass sich Menschen genau darüber Gedanken machen“, ergänzt Gabriele Schweigler. „Damit sie selbst und nicht andere über Organspende entscheiden oder entscheiden müssen.“
In ihrem Netzwerk sind Spenderfamilien und Freund:innen zusammengeschlossen. Es tritt aktiv für mehr Organspenden und zugleich für die Angehörigen der Spendenden ein. Die Aktiven organisieren Telefongespräche zwischen Spenderfamilien, nehmen an Spendenläufen sowie Tagungen zur Organspende teil und klären zum Thema auf.
Das alles machen sie ehrenamtlich. Sie wünschen sich neben Dankesworten von der Politik mehr Anerkennung. In Leipzig zum Beispiel ist ein Denkmal für anonyme Organspender:innen geplant. Das könnte dieses wichtige Thema mehr in die Öffentlichkeit rücken.