Teenager
„Der Pakt“
Rebecca Ramlow · 15.05.2019
zurück zur ÜbersichtPhilipp Birkmann in „Der Pakt" / Foto: Ingo Solms
Der Facebook-Faust
Der Andrang ist groß bei der Premiere im Casamax-Theater, dicht gedrängt sitzt das Publikum in dem kleinen Theatersaal. Schuld daran sind zwei in die Postmoderne transferierte Gestalten aus Goethes „Faust“: Johann (überzeugend gespielt von Philipp Birkmann) und „El Diablo“ (teuflich gepielt von Till Klein) alias Mephisto. Zugegeben klingt „Faust“ ein bisschen nach altbackenen Reclam-Heftchen und verklauselierten Zeilen. Wie bringt man also jungen Menschen heutzutage eine derartige literarische Tragödie auf packende Weise rüber? Das Casamax hat die Antwort: Indem man Faust als Spiel-im-Spiel in eine aktuelle Geschichte einbringt und auf einen spannenden SocialMedia-Trip schickt. Johann ist dabei so etwas wie ein moderner Facebook-Faust mit Internetzugang. Dann wieder mutet er an wie ein Anti-Faust – und Schwupps, hat man zwei Protagonisten, die unterschiedlicher kaum sein können: Während der ursprüngliche Faust überstudiert war und nicht wusste, was er mit all dem theoretischen Wissen in der Realität anfangen sollte, plagen Johann reale Probleme in der Schule - aufgrund mangelnder Theoriekenntnisse. Was die beiden eint, ist der Krisenmodus, in dem sie sich befinden. Zwar ist Johann seines Lebens nicht ganz so überdrüssig wie Faust, der sich zu Beginn von Goethes Tragödie umbringen wollte. Leicht ist es aber auch für ihn nicht: Schließlich wächst er ohne Mutter auf, während sein Vater ein Workoholic ist. Wenn Johann das nächste Referat – ausgerechnet über Goethes Faust! – misslingt, bleibt er sitzen. Dieser blöde Goethe. Dass der sich aber auch in das Leben eines pubertierenden Jungen von heute einmischen muss. Goethes Namensvetter Johann wird somit zum Übersetzer von Faust in die heutige Welt. Seine Interpretation, während er verzweifelt das Reclam-Heftchen mit Goethes Faust in der Hand hält: „Ich glaube, hier geht es um‘s Komasaufen.“ Das Publikum lacht. Überhaupt steckt „Der Pakt“ voller Humor, was das Stück so sehenswert macht.
Goethe goes Online
Alles, was Johann in seiner Isolation und Verzweiflung bleibt, sind die Unterwelten des sozialen Netzwerkes „the pact“. Johann scheint nur noch in der digitalen Welt zu leben. Seine Unfähigkeit, in der Realität zu kommunizieren, spricht Bände. Nur wenn er ins Internet abtaucht, mutiert er zum Pseudo-Experten. Während sich Goethes Faust am Wissen berauschte und mehr als eloquent war, ist sein Nachfolger Johann der II. postmodern verstummt. „Der Pakt“ von Robert Christott tangiert damit ein wichtiges Thema: Durch den Zugang zum Internet verfügen wir heute über mehr Wissen denn je. Beinahe werden wir davon überrollt. Somit könnte Johann theoretisch mehr wissen als Faust. Dennoch stellt sich die Frage: Kommen wir mit dieser Überflutung und Unverbindlichkeit an Informationen zurecht? Und: Welche vermeintlichen Kenntnisse aus der digitalen Welt sind richtig und welche sind Fake? Wie würde Faust sich fühlen, wenn er in der heutigen Welt mit Internet-Zugang lebte?
Fast, faster, Faust
Johann kommt mit dieser Reizüberflutung offenbar nicht zurecht, sondern dreht durch – bis er den Mephisto des Internets und Sieger des Spiels „Lucha Libre“ namens „El Diablo“ im Internet trifft, den er zutiefst verehrt. Hier, in dieser Phantasiewelt – und das ist wieder eine Parallele zu Goethe – sind Männer noch wahre Helden und kämpfen einen ehrlichen Krieg um Würde und Ansehen. Wobei Goethes Faust gar nicht so heldenhaft war, landete er mit Mephistos Hilfe doch bei Gretchen, schwängerte jene und ließ sie schließlich auch noch unheldenhaft im Kerker verrecken. Da half ihm auch sein ganzes Wissen nicht.
In „Der Pakt“ steht plötzlich El Diablo, seines digitalen Heldendaseins überdrüssig, real vor Johanns Haustüre und fordert jenen heraus. Was der sich einbilden würde, hier einen auf Computerspiel-Junkie zu machen. So käme er nicht weiter im Leben. Die beiden schließen einen Pakt: Keine Regeln, keine Grenzen. Fast, faster, Faust. Wird Johann II. es schaffen, ein einziges Mal seine digitale Fluchtwelt zu verlassen und in die wahre zurückzukehren? Wird er über sich hinauswachsen?
Fazit
Dem Casamax-Theater ist es gelungen, mit Humor, einer brillianten Idee und starker schauspielerischer Leistung Goethes Tragödie auf innovative Weise in Form einer schwarzen Komödie auf die Bühne zu bringen. Mir hat die Darstellung durchaus die Sprache verschlagen. Fast steigt der digitalisierte Facebook-Faust sogar über seinen Vorgänger hinaus. Immerhin schwängert er kein Mädchen. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass wir heute nur noch Internetdates haben. So wie die „Killerbiene“ von Johann.
CASAMAX Theater
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