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Rund ums Baby

Gebären - schnell und ohne Hilfe!

Golrokh Esmaili · 09.04.2016

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© thelinke/iStockPhoto.com

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Geburtskliniken schließen. Immer mehr Hebammen hängen ihren Job an den Nagel. Die Versorgung von schwangeren Frauen und Neugeborenen wird von Woche zu Woche schlechter. Golrokh Esmaili setzt sich mit der IST-Situation der Hebammenarbeit auseinander.

Auf der schönen Nordseeinsel Sylt müssen schwangere Frauen drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin ins „Exil“ – also auf das Festland – um ihr Kind in einer Klinik gebären zu können. Dort harren sie ohne Familie und Freunde aus, bis der Nachwuchs kommt.

Frauen mit Wehen werden abgewiesen

In Berliner Kliniken werden Frauen mit Wehen abgewiesen, weil die dort arbeitenden Hebammen überlastet und bereits mit mehreren Geburten beschäftigt sind. Frauen, die auf dem Land wohnen, müssen teilweise Anfahrtswege von über einer Stunde in Kauf nehmen, um ein Krankenhaus mit Entbindungsstation zu finden. Und das – nebenbei bemerkt – mit Wehen und kurz vor der Geburt. Das erzählt mir meine schon seit Jahren freiberuflich arbeitende Hebammen-Freundin Nicole Heuger nachmittags bei Kaffee und Kuchen.

Dass die „Hebammenarbeit in Gefahr“ ist, ist mir persönlich nicht neu. Die eine und andere Petition zur Rettung des Hebammenberufs trägt meine Unterschrift. Hier und da schnappt man diverse Infos zum Thema auf, aber dass die geburtshilfliche und Hebammenarbeit in der Praxis bereits so eingeschränkt ist, das ist mir neu. Meine Freundin orakelt düstere Zukunftsvisionen und ich frage mich, warum Frauen – also wir – nicht mehr unternehmen, um diesen Berufsstand zu erhalten. Denn schließlich geht es um uns, um unser Selbstbestimmungsrecht, um unsere Kinder und Enkelkinder.

Auf der Suche nach Antworten

Ich mache mich auf die Suche nach Antworten und treffe als erstes auf Katharina Desery, ehrenamtliche und sehr engagierte Mitarbeiterin von Mother Hood e.V. Dieser Verein setzt sich bundesweit für eine gute Versorgung von Mutter und Kind vor, während und nach der Geburt ein. Seine Mitglieder versuchen, Eltern anzusprechen und aufzuklären. Sie organisieren Protestmärsche, Petitionen und mehr, „um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Situation sich für die Hebammen, aber auch für die Frauen zunehmend verschlechtert," erklärt Katharina Desery. Was aber ist das Problem? Warum ist die Grundversorgung der gebärenden Frauen und der neugeborenen Kinder nicht mehr gewährleistet? Und warum werfen immer mehr Hebammen das Handtuch?

Explodierende Kosten

Das Problem sind die steigenden Kosten für Haftpflichtversicherungen. Versicherungen – ein Thema, bei dem ich sofort anfange zu schnarchen. In diesem Fall ist es aber wichtig, um die Zusammenhänge zu verstehen. So lange es Kinder gibt, existiert die Geburtshilfe. Immer wieder gab und gibt es Fälle, wo bei der Geburt oder der Wochenbettbetreuung ‚etwas schief’ läuft. Durch eine verbesserte medizinische Versorgung der Neugeborenen sind diese Fälle aber tatsächlich seltener geworden. Warum dann trotzdem steigende Versicherungssummen? „Eltern klagen heutzutage mehr“, erklärt mir Desery. „Kommt ein Kind – tragischer Weise – zu Schaden, dann ist die Lebenserwartung durch die bessere medizinische Versorgung gestiegen. Darum müssen Versicherungen im Fall der Fälle länger und mehr zahlen.“

Aufgrund dessen versichern eine Vielzahl von Versicherungen keine Hebammen mehr. Zu hoch sind die möglichen Folgekosten. Nur durch die Arbeit der Bundes- und Landesverbände, die sich mit Politikern zusammengesetzt haben, konnte eine Lösung gefunden werden. In einem Konsortium haben sich – auf Druck der Politik – Versicherungen zusammengeschlossen. Über dieses Konsortium werden Hebammen weiterhin versichert, allerdings zu mittlerweile horrenden Preisen. Die Beiträge steigen nämlich trotzdem Jahr für Jahr ins Unermessliche. Und diese Lösung ausgehandelte ist übrigens auch nicht ewig während, sondern gilt lediglich bis 2017. Dann wird neu verhandelt.

Zum Verständnis hier einige Zahlen: 1981 zahlte eine Hebamme pro Jahr einen Versicherungsbeitrag von 30,68 Euro. 2003 waren es bereits 1.352,56 Euro. Im Jahr 2015 betrug die Versicherungsprämie bereits 5.274,32 Euro – und ein Ende der Steigerungen ist noch nicht in Sicht. Im Klartext bedeutet das: Hebammen müssen mehr arbeiten, um genug Geld zu verdienen und ihre Unkosten zu decken. Wenn man sich die Konsequenzen überlegt, dann kann das nur bedeuten, dass die bisherige Qualität der Betreuung nicht mehr gewährleistet ist.

Überlastung der Hebammen

Daniela Erdmann sitzt im Vorstand des Landeshebammenverbandes. Sie erzählt mir, dass Geburten für die Kliniken heute kein lohnenswertes Geschäft mehr sind. „Früher hieß es im Zusammenhang mit schwangeren Frauen ‚in guter Hoffnung sein’," so Erdmann. „Heute ist es einfach nur noch ein Geschäft mit der Angst“. Und je ängstlicher die Frauen seien, desto mehr Untersuchen lassen sie machen, desto weniger vertrauen sie sich und ihrem Körper. Sie erklärt, dass eine Geburt – eigentlich ein familiäres Ereignis – im 21. Jahrhundert mehr und mehr zu einem medizinischen, ja ökonomischen Ereignis mutiert. „Die Kaiserschnittrate liegt heute bei über 30 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Kaiserschnittrate von zwölf bis 15 Prozent. Alles, was darüber hinausgeht, ist medizinisch nicht vertretbar“, schildert sie. Aber Operationen seien ein lohnenswerteres Geschäft. Die Situation, dass auf eine Hebamme sowohl in Kölner Kliniken als auch bundesweit zur Zeit drei Geburten kommen, sei unhaltbar. „Jede Frau, die ein Kind gebärt, hat eine eigene Hebamme verdient", stellt Daniela Erdmann fest. „Während einer Blinddarmoperation wechselt der Arzt ja auch nicht ständig seine Patienten“.

Allein gelassen im Wochenbett

Durch den steigenden Kostendruck und die Mehrbelastungen steigen immer mehr freiberufliche Hebammen aus – sie orientieren sich um. Eine Folge davon ist auch, dass Frauen kaum noch Wochenbettbetreuung finden. Aber ohne Hebammen werden Probleme im Wochenbett nicht früh genug erkannt. Frauen mit Stillschwierigkeiten landen im Krankenhaus. Kinder, die an Gelbsucht erkranken, werden nicht entsprechend versorgt. Wer kümmert sich um Nähte? Wer kontrolliert, ob sich die Gebärmutter entsprechend zurück bildet?

Düstere Zukunftsvisionen treffen die Realität – einige Kliniken bieten mittlerweile Wochenbett-Sprechstunden an. Praktisch gedacht bedeutet dies: Eine Frau mit entzündeten Brüsten muss sich ihr Neugeborenes – unabhängig von Wind und Wetter – packen, in die Klinik fahren und dort warten, bis jemand mit ihr spricht. Das sind Bedingungen, die für mich unhaltbar sind. Und darum ist es umso wichtiger, sich zu engagieren, auf die Straße zu gehen und sich für unsere Rechte und vor allem unsere Gesundheit einzusetzen, finde ich!

Service

Mother Hood e.V.

Die Bundeselterninitiative Mother Hood e.V. setzt sich für eine gesunde, stressfreie und selbstbestimmte Geburt ein. Sie wollen den sich verschlechternen Bedingungen in der Geburtshilfe trotzen. In Regionalgruppen gehen sie bundesweit zusammen mit anderen Initiativen aktiv dagegen vor.

Deutscher Hebammen Verband

Der Deutsche Hebammen Verband bietet Informationen rund um den Beruf Hebamme sowie verschiede Services und Unterstützung für Hebammen. Aber werdenden Eltern ist die Website eine Hilfe, da sie über die euch zustehenden Rechte der Geburtenhilfe aufklärt. Der Landesverband der Hebammen Nordrhein-Westfalen e.V. stellt den selben Service auf Landesebene bereit.

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