Rund ums Baby
Babys und Kleinkindern Grenzen setzen
Svenja Kretschmer · 06.06.2023
zurück zur ÜbersichtSachbuchautorin Nora Imlau schreibt über Familienthemen. © Maria Herzog
Wir haben mit Nora Imlau über ihr neues Buch „Meine Grenze ist dein Halt - Kindern liebevoll Stopp sagen” gesprochen.
KÄNGURU: In Ihrem Buch “Meine Grenze ist dein Halt” appellieren Sie an Eltern, die eigenen Grenzen nicht autoritär zu setzen, sondern sie stattdessen zu spüren, zu wahren und zu zeigen – was macht das für einen Unterschied?
Nora Imlau: Autoritäres Grenzensetzen fühlt sich für Kinder hart und trennend an, Konsequenz steht über allem. Eltern sagen „Nein“ und wenn sich ihr Kind nicht an die gesetzte Grenze hält oder dagegen aufbegehrt, werden sie wütend und beginnen zu schimpfen oder zu strafen.
Die persönlichen Grenzen ihrer Eltern aufgezeigt zu bekommen, fühlt sich für Kinder völlig anders an. Sie spüren: Hier vertritt eine geliebte Bindungsperson eine Grenze für sich, mit Freundlichkeit und Klarheit. Und wenn das Kind Schwierigkeiten hat, die Grenze zu akzeptieren, wird es empathisch durch diesen Frust begleitet. So erleben Kinder Grenzen als verbindend statt als trennend.
Wie der Titel Ihres Buches schon sagt, geht es um „Meine Grenze” - also die der Eltern - die als Halt für das Kind dient. Wieso ist der Fokus auf die eigenen Grenzen so eine hilfreiche neue Perspektive auf das Thema?
In einer Familie ist es unglaublich kostbar, wenn Kinder mit dem Selbstverständnis aufwachsen, dass alle Menschen Grenzen haben – Kinder wie Erwachsene. Wenn Eltern ihre eigenen persönlichen Grenzen spüren und zeigen können – ob Belastungsgrenze, Schamgrenze oder welche Grenze auch immer – sind sie Kindern darin ein großes Vorbild, ihre eigenen Grenzen zu spüren und zu wahren.
Ist es niemals zu früh, mit Grenzen zu arbeiten?
Es ist Kindern in jedem Alter zumutbar, zu spüren und wahrzunehmen, dass ihre Eltern Grenzen haben. Das heißt nicht, dass wir uns im Umgang verhärten sollten oder dass man gerade kleinen Kindern ständig Frust zumuten könnte oder sollte. Im Gegenteil: Es ist sehr wichtig, dass wir gerade im Babyjahr alle Bedürfnisse prompt und angemessen erfüllen. Aber diese Angemessenheit darf auch elterliche Grenzen berücksichtigen: Ich muss mein weinendes Baby zum Beispiel nicht über Stunden in der Wohnung herumtragen, sondern kann ihm auch im Liegen Nähe geben.
Können Sie ein Beispiel geben, wie Eltern von Babys mit Grenzen arbeiten können?
Als Elternteil eines Babys ist es meine Aufgabe, die körperlichen und seelischen Bedürfnisse meines Kindes prompt und angemessen zu beantworten. Doch Bedürfnisse und Wünsche sind nicht dasselbe: Was Babys am liebsten mögen, ist nicht immer das, was sie brauchen. So haben viele Babys eine starke Präferenz für einen Elternteil – es ist ihnen aber zumutbar, auch regelmäßig von dem anderen Elternteil liebevoll versorgt zu werden, der für sie ebenfalls eine enge Bindungsperson ist, auch wenn sie dabei vielleicht mehr weinen. So kann verhindert werden, dass der präferierte Elternteil irgendwann ausbrennt, weil er nie eine Pause bekommt.
Sie raten Eltern, auch über gesellschaftliche Normen nachzudenken und diese als verinnerlichte Glaubenssätze zu hinterfragen. Können Sie ein Beispiel geben?
Oft gibt es Streit und Stress in Familien, weil Eltern sich mit bestimmten Vorstellungen durchsetzen wollen: Sie ärgern sich, wenn ihr Kleinkind auf dem Spielplatz seine Schuhe ausziehen will, verbieten es, den Nachtisch vor dem Hauptgang zu essen und nehmen ihrem Kind die geschenkte Wurst weg, wenn es in der Metzgerei nicht Danke sagt. In all diesen Situationen dürfen Eltern überlegen: Muss ich diesen Kampf wirklich kämpfen? Worum geht es mir denn hier? Ist wirklich die Gesundheit oder Sicherheit meines Kindes ausschlaggebend für mein Verbot – oder eher eine soziale Norm, die ich erfüllen will? Tatsächlich spricht oft nichts dagegen, kleine Kinder barfuß laufen zu lassen oder für sie danke zu sagen, bis sie sich selbst trauen. Und Eis am frühen Morgen ist nicht ungesünder als am späten Nachmittag. Da dürfen wir lernen, gelassener zu werden.
Was würde sich in der Gesellschaft ändern, wenn das Wort „Grenze” positiv konnotiert wäre und Eltern diese mit Ihren Worten „klar, fair und entwicklungsgerecht” wahren könnten?
Es gäbe weniger Gewalt gegen Kinder und weniger ausgebrannte Eltern. Das wäre ganz wunderbar.
Vielen Dank für das Gespräch!
BUCHTIPP: MEINE GRENZE IST DEIN HALT
Info: „Meine Grenze ist dein Halt - Kindern liebevoll Stopp sagen”, Norla Imlau, BELTZ, ZS, 2022, ISBN 978-3-407-86742-1, 194 Seiten, 20 Euro