Reisen
Wir Pferdeflüsterer
Claudia Berlinger · 28.08.2017
zurück zur ÜbersichtDas Glück dieser Erde liegt bekanntlich auf dem Rücken der Pferde. © Claudia Berlinger
Rebecca Kohlstadt von Natürlich Reiten in Stakendorf an der Ostsee ist unsere Gastgeberin für eine Woche Ferienreiten. Sie veranstaltet mit ihrem Team Ines und Ella ganzjährig Kurse und Seminare. Das Besondere an ihrem Angebot ist: Sie unterrichtet im Stil des Natural Horsemanship. Das ist die Kunst, mit Pferden natürlich, also pferdegerecht umzugehen.
Hier geht es um die harmonische Verbindung zwischen Mensch und Pferd. Als Yoginis kommt uns diese Art des Umgangs mit den Pferden sehr entgegen, denn wir lieben Pferde und wollen ihre Sprache, ihr Denken und Fühlen wirklich verstehen und ein partnerschaftliches Miteinander erlernen.
Bitte nicht wegrennen
Zuallererst üben wir, wie wir uns dem Pferd am besten nähern, ohne seinen Fluchtinstinkt zu wecken oder es zu erschrecken. Hierbei erfahren wir, wie das Pferd wahrnimmt und was es mit seinen seitlich liegenden Augen sehen kann. In Zweierteams üben wir den Horseman's Handshake als Kontaktaufnahme: Sieht das Pferd die Handfläche, erwartet es Futter, sieht es den Handrücken, wird es uns beschnuppern.
Bevor wir mit dem Striegeln und Putzen beginnen, beobachten und kraulen wir unsere neuen Freunde, versuchen, in es hinein zu fühlen und innerlich zur Ruhe zu kommen. Denn die Ponys kennen uns ja auch noch nicht und sind ebenso aufgeregt wie wir. Wir, das sind 8 Mädchen, 2 Jungs und zwei Muttis aus Köln, die den respektvollen Umgang mit dem Pferd lernen möchten.
Klopfen ist doof
Bevor wir unsere Ponys zum Reitplatz führen, ist Zeit für wichtige Theorie und Trockenübungen. Im Anatomiespiel erhalten wir Aufkleber mit Begriffen wie „Flanke", „Knie" oder „Sitzhöcker" und die ganze Gruppe klebt sie auf den geduldigen Pico. Jedes Zweierteam teilt sich in Reiter und Pferd auf und wir spüren am eigenen Körper, wie es ist, an Zügeln geführt zu werden und wie doof sich Klopfen als Lob anfühlt. Viel schöner ist es, gestreichelt zu werden und liebe Worte zu hören.
Einmal verdecken sogar Nikolausmützen unsere Augen und jeder Teilnehmer macht die Erfahrung, blind an Zügeln einen Parcours zu gehen und um Hindernisse herum zu traben. Solche Übungen machen sehr viel Sinn, denn uns allen wird klar, wie oft wir von unseren Ponys Gehorsam verlangen, obwohl wir ihm falsche Signale geben.
Für mich ist das Yoga mit dem Pferd, denn ich bin gefordert, meine Körpersprache in jedem Moment zu überprüfen und klar und sauber zu kommunizieren, denn Pferde reagieren blitzschnell. Wirbelsäule aufrichten, Brustkorb anheben und Konzentration auf die Handlung, die ich mit dem Pony umsetzen möchte sind nur ein paar der Hinweise, an denen sich das Pony orientiert.
Ponys spüren Emotionen
Es nimmt auch unsere Atmung wahr und reagiert auf unsere Emotionen, die uns häufig gar nicht bewusst sind. Pferde setzen unsere inneren Bilder um und spiegeln haargenau, was in uns Reitschülern innerlich vorgeht. Dass wir viel Zeit haben und keine Leistung erbringen sollen, gibt uns den Raum, einander gut kennen zu lernen.
Die Frage, die meine Haflingerstute Nala mir immer wieder stellt, ist: „Wie sicher willst du das, was du mir hier gerade sagst? Willst du wirklich nach links? Denn rechts steht ein Haselnussbusch, dessen köstlicher Blätterduft verführerisch in meine Nüstern weht." Als Herdentier verlangt sie von mir die Entschlossenheit, sie zu führen, zumindest, solange ich auf ihrem Rücken sitze. Dabei komme ich immer wieder mit den Handlungsanweisungen durcheinander, die ich ihr gebe.
Lenken durch Denken
Darum machen wir viel Bodenarbeit und überprüfen, wie unser eigener Körper zum Pferd steht, ob unsere Füße in die Richtung zeigen, in die wir gehen möchten. Die Reiter müssen dem Pferd Raum geben oder nehmen, um es zu lenken. Das ist in erster Linie eine energetische Arbeit auf unserem Weg zu feinfühligen, bewussten Pferdemenschen.
Was denn nun
Rebecca, die seit ihrem 10. Lebensjahr reitet, kennt die vielen Fallstricke fehlerhafter Kommunikation, die sich beim Reitenlernen auftun. Wir alle verwirren unsere Ponys, wenn wir die Zügel anziehen und gleichzeitig treiben, damit es losgeht. Da ist es wichtig, nicht dem Pferd die Schuld zu geben. Wir strafen nicht, sondern loben es für jede gelungene Kommunikation. Unermüdlich bietet Rebecca jedem Reitschüler andere Lernhilfen an.
Ohne Sattel und Zügel
Mir gibt sie zwei Sticks. Damit fühle cih mich auch ohne Zügel in der Lage, Nala meine Wünsche mitzuteilen und diese freundlich aber bestimmt durchzusetzen. Sättel haben wir keine, denn auf Pads haben wir einen besseren Kontakt zum Rücken und den Bewegungen der Ponys. So kommen wir alle nach und nach in den Trab und einige Mutige galoppieren, als gäbe es kein Morgen. Die Freudenschrie der Kinder sind eine Wohltat für die Seele.
Norea, die mit ihren fünf Jahren die jüngste Teilnehmerin und sehr reiterfahren ist, lernt in diesem Kurs auch viel Neues: „Ich kann jetzt mit den Zügeln in einer Hand reiten", sagt sie stolz. Die vier Stunden, die sie täglich mit ihrem lieben Pony "Klein Lotti" verbringen darf, bleibt als stärkster Eindruck.
Auch Treten bedeutet etwas
„Lotti ist sehr kitzelig und hat ein paar Mal ausgetreten. Da habe ich mich ganz schön erschreckt." Vor allem anderen steht die Sicherheit. Darum hat Rebecca ihre Augen überall und ist gleich zur Stelle, um allen an Lottis Beispiel zu erklären, dass die Pferde mit uns sprechen, wie sie es mit ihren Artgenossen täten. Treten gehört in ihr Abgrenzungsverhalten. Klein Lotti sollte am Bauch kurz und mit festen Strichen gestriegelt werden. Wir alle lernen durch solche Situationen, noch genauer hinzuschauen.
Unendlich stolz
Auch die Kinder konzentrieren sich darauf, ganz bewusst die Energie herzustellen, die den Ponys signalisiert: Jetzt losgehen, jetzt traben und jetzt stehenbleiben. Acht Mädchen, zwei Jungs und zwei Mütter aus Köln sind stolz und unendlich glücklich, als wir am Ende der Woche unsere Ponys von der Weide holen wollen und sie freiwillig zu uns kommen. Denn das Vertrauen unserer Pferde haben wir uns durch unser freundliches Miteinander redlich verdient. Danke, Rebecca, Ines und Ella, dass ihr uns einen anderen, besseren Umgang mit Pferden vermittelt habt. Diese Erfahrung wird uns in jeder zukünftigen Begegnung begleiten.