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Von Kinderlesungen, goldenen Schreibmaschinen und großer Verantwortung — Interview mit Carsten Henn

Lisa Böttcher · 31.03.2025

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Carsten Henn ist der Autor des erfolgreichen Kinderbuchs „Die Goldene Schreibmaschine", ©Mirko Polo

Carsten Henn ist der Autor des erfolgreichen Kinderbuchs „Die Goldene Schreibmaschine", ©Mirko Polo

Carsten Henn ist Winzer, Weinjournalist und Restaurantkritiker. Vor allem aber ist er Autor. Sein Roman „Der Buchspazierer“ landete auf der Spiegel-Bestsellerliste und wurde mit Christoph Maria Herbst in der Hauptrolle verfilmt. Mit dem Roman „Die Goldene Schreibmaschine“ erschien im Oktober 2024 sein erstes Buch für junge Leser:innen ab 10 Jahren. Im Interview mit KÄNGURU verrät er, welche Herausforderungen sich hinter einem Kinderbuch verbergen, was er Neues über das Schreiben gelernt hat und warum er vor Kinderlesungen besonders aufgeregt ist.

KÄNGURU: Herr Henn, „Die Goldene Schreibmaschine“ ist Ihr erstes Kinderbuch. In einem anderen Interview habe ich gelesen, dass der Verlag auf Sie zugekommen ist und Ihnen vorgeschlagen hat, dieses Kinderbuch zu schreiben. Haben Sie selbst vorher nie darüber nachgedacht, für Kinder zu schreiben?

Carsten Henn: Doch, ich habe oft darüber nachgedacht. Wenn man eigene Kinder hat, möchte man eine Geschichte für sie schreiben. So wie ein Zimmermann seinen Kindern einen Schreibtisch baut. Ich habe tatsächlich vor vielen Jahren mal ein Bilderbuch gemacht: „Das größte Butterbrot der Welt“. Für meinen Sohn, denn der hat sein Butterbrot immer ganz hoch gestapelt. Der wollte alles gleichzeitig essen. Käse und Nutella und Salami. Das hat mich inspiriert die Geschichte für ihn zu schreiben. Ein Bilderbuch für meine Tochter zu verfassen hat dann leider nie hingehauen. Aber in meinem Roman „Der Buchspazierer“ war sie die Inspiration für die Hauptfigur. Insofern ist das eigentlich ihr Buch.

Trotzdem gab es immer einen Teil in mir, der gerne ein Buch für Kinder und Jugendliche schreiben wollte. Die Bücher, die uns in der Kindheit und Jugend prägen, vergessen wir nie. Bei mir selbst war das so mit den Werken von Michael Ende. Es ist etwas ganz Besonderes, wenn man es als Autor oder Autorin schafft, ein Buch zu schreiben, dass die Herzen von Kindern erobert und diese Bedeutung hat.

Gehen Sie dann mit diesem Anspruch an Kinderbücher anders heran als an Erwachsenenbücher?

Man kann ein Kinderbuch als Autor schnell unterschätzen. Wenn man denkt, das kann doch nicht so schwierig sein. Dabei muss man über so viele Sachen nachdenken. Ich habe zum Beispiel lange darüber gegrübelt, was ich an den Büchern liebe, die ich in meiner Jugend gelesen habe. Und darüber, welche Sprache ich nutzen will. Man muss außerdem genau wissen, für welche Altersklasse man schreibt. An einigen Stellen war ich etwas unsicher. Es gibt zum Beispiel eine gruselige Szene in einer Gruft und da fragt man sich: Wie spannend darf es sein? Zum Glück kann man solche Dinge immer mit dem Lektorat klären.

Dann besteht natürlich die Gefahr, dass man als Autor versucht, eine Jugendsprache nachzumachen, die man nicht wirklich beherrscht. Das fand ich als Kind immer eher peinlich. Irgendwelche Jugendwörter des Jahres, die da eingebaut wurden, aber nichts mit dem Alltag zu tun haben. Meine eigene Tochter hat dann ein paar Mal drüber gelesen, damit in meinem Roman alles authentisch ist. Ich habe aber vor allem versucht, ganz bei mir selbst zu bleiben, meine Sprache zu benutzen und mich nicht an die Leserschaft ranzuwanzen.

Ich wollte vor allem nicht belehrend sein oder die Geschichte zu simpel erzählen. Ich habe es als Kind immer geliebt, wenn mich die Bücher ernst genommen haben. Ich wollte zudem ein Buch schreiben, das auch poetische Momente aufweist. Das witzig ist auf eine nicht platte Art und Weise. Das unglaublich spannend ist. Ich habe es eigentlich so geschrieben, wie ich es mir als Junge damals gewünscht hätte.

Also haben Ihre Kinder auch Einfluss gehabt auf das Buch und auf die Handlung?

Meine Tochter Charlotte hat ein bisschen gegengelesen und ich habe sie zwischendurch immer mal wieder ein paar Sachen gefragt. Vor allem waren meine Erstleser diesmal Kinder. Diesen Blickwinkel zu erfahren war unheimlich wertvoll, da ging es auch viel um die Sprache. „Beste Freundin“ sagt man zum Beispiel nicht mehr. Laut meiner Tochter sagt man „Mausi“ zueinander. Und das ist dann nun mal so.

Sie lesen regelmäßig vor erwachsenem Publikum. In diesem Jahr haben Sie im Rahmen der lit.kid.Cologne vor einer Schulklasse gelesen. Wie war das für Sie?

Es ist aufregend, denn jede Klasse ist unterschiedlich. Und der größte Unterschied ist: Erwachsene kommen zu meiner Lesung, weil sie mein Buch mögen. Eine Schulklasse ist im Endeffekt verpflichtet, da zu sein. Die kennen mich nicht, kennen meist das Buch nicht. Ich muss die erst gewinnen und eine Verbindung aufbauen. Auch hier finde ich es wichtig, authentisch zu bleiben. Man muss nicht irgendein Bild von einer Autorenfigur abgeben, das man für richtig hält. Wenn man bei sich bleibt, nimmt man damit auch das Publikum und die Kinder ernst. Außerdem ist es wichtig, viele Fragerunden zuzulassen, zum Beispiel wenn die Kinder unruhig werden. Es gibt immer einen großen Wunsch, mehr über mich als Autor zu erfahren, weil das so ein ungewöhnlicher Beruf ist. Deshalb kommen auch immer die Fragen: Wie viele Bücher verkaufen Sie? Was verdienen Sie?

Ich finde es auch sinnvoll die Kinder bei Null abzuholen und erstmal zu erklären, wie eine Lesung funktioniert. Heute sagte ein Kind am Anfang mit Angst in den Augen: Hoffentlich liest er nicht das ganze Buch! Für viele ist es ja die erste Lesung überhaupt. Das ist eine wahnsinnige Verantwortung, denn wenn die das doof finden, dann sagen sie: Das tue ich mir auf gar keinen Fall nochmal an. Aber wenn man es gut macht, dann wollen sie vielleicht nochmal zu einer Lesung. Oder man hat sie sogar ein wenig für Literatur begeistern können. Die Verantwortung ist also viel größer als bei einer Erwachsenenlesung, denn die lesen ja alle schon.

Sind Sie dann entsprechend vorher auch aufgeregter als bei einer Erwachsenenlesung?

Ja, auf jeden Fall. Weil ich weder weiß, wie die Kinder drauf sein werden, noch wie der Vortragsort funktioniert. Es gibt unruhige Räume, in denen die Kinder auch unruhiger sind. Kinderlesungen sind also einerseits viel aufregender für mich, aber auch dankbarer. Denn wenn die Kinder es gut finden, dann ist es ein unglaublich authentischer, ehrlich gemeinter Zuspruch, der ganz tief gefühlt ist. Und das macht mich sehr glücklich.

Ist es Ihnen schwergefallen, die Stellen aus dem Buch auszusuchen, die sie bei der Lesung vortragen?

Ja, auch hier muss man auf vieles achten. Es braucht einen roten Faden. Zuerst eine Einführung in die Geschichte und die Figuren, und dann Szenen, wo richtig was passiert. Bei Erwachsenen kann ich das ganz anders auswählen. Ich kann sehr langsame, poetische, abschweifende Ausschnitte lesen. Bei Kindern muss es echt spannend und packend sein, es muss mitreißende Handlung haben. Ansonsten verliere ich das Publikum. Ich habe die Szenen teilweise eingekürzt, weil ich gemerkt habe: Hier muss es noch schneller zur Sache gehen. Die Passagen dürfen grundsätzlich auch nicht zu lang sein, fünf Minuten sind eigentlich das Maximum. Man konzipiert die Lesung ganz anders und ich finde es total wichtig, darauf einzugehen, damit die Kinder Freude an der Veranstaltung haben.

Was haben Sie denn im Laufe des Entstehungsprozesses der „Goldenen Schreibmaschine“ noch Neues über das Schreiben gelernt?

Ich glaube, jedes Buch bringt einem etwas bei. Ich bin ein Autor, der viele Krimis geschrieben hat. Spannung war mir also schon bekannt und dennoch habe ich nochmal viel Neues darüber gelernt. Ich wollte die „Goldene Schreibmaschine“ extra spannend machen. Und der Effekt war dann, dass selbst mein über 70-jähriger Vater es nicht mehr aus der Hand legen konnte. Ich habe Methoden angewandt, um diese Spannung herzustellen, die ich sogar in meinen Krimis nicht benutzt habe. Das sind fast schon Thriller-Elemente. Nie hätte ich gedacht, dass ich das ausgerechnet bei einem Kinderbuch erlernen würde.


„Die Goldene Schreibmaschine" von Carsten Henn ©Oetinger Verlagsgruppe

Viele Kinder lesen nicht so gerne. Was braucht ein Kinderbuch, damit es die Leser:innen begeistert?

Man muss schauen, dass der Spannungsbogen sehr eng gewoben ist. Weiterhin ist – eigentlich bei allen Büchern - wichtig, dass man Figuren hat, mit denen man in Relation treten kann. Und auch Figuren, die man verabscheut. Gerade Kinderbücher brauchen sehr starke Antagonisten. Bei mir ist das Szene Eins: Der Lehrer taucht auf. Und er ist wirklich unangenehm, man mag ihn von Anfang an nicht. In dem Fall zieht einen der Lehrer in die Geschichte rein und man denkt: Mit dem muss noch etwas passieren!

Außerdem ist wichtig, dass man sehr direkt und sehr emotional schreibt, ohne die Kinder zu unterschätzen. Wenn man sie einmal gepackt hat, kann man ihnen auch zutrauen, längere oder gar poetische Passagen zu lesen. Da muss man dann auch nicht mit der Sprache runtergehen. Ich habe mich beim Schreiben an meine eigene Kindheit erinnert und an die Bücher, die ich gelesen habe. Das war ein großes Geschenk und ich habe sehr genossen, mich da nochmal selbst kennenzulernen.

Viele Kinderbücher haben einen Moralanspruch. „Die Goldene Schreibmaschine“ ebenso?

Ich tue mich mit diesem Begriff sehr schwer. Denn das sind genau die Bücher, die ich als Kind gar nicht leiden konnte. Wenn ich wusste, dass der Lehrer oder die Lehrerin sich vorher genau überlegt hatten, was wir Schülerinnen und Schüler dadurch lernen und begreifen sollten. Das war mir immer zu doof, deshalb finde ich dieses Belehrende sehr schwierig. Aber „Die Goldene Schreibmaschine“ ist durchaus ein Roman, der eine Botschaft hat. Es geht um die Bedeutung von Geschichten und darum, was passiert, wenn man Geschichten umschreibt. Und ich glaube, das ist erschreckend aktuell. Wir erleben weltweit, dass Regierungen Sachverhalte umdeuten und umschreiben, weil sie ihnen dann besser passen. Das ist enorm gefährlich. Wir müssen uns bewusst werden, wie wichtig Narrative für eine Gesellschaft sind. Und wir müssen aufpassen, wie wir unsere Geschichten erzählen. Menschen sind narrative Wesen. Wir funktionieren über Geschichten. Kultur definiert sich darüber, welche Geschichten wir uns erzählen. Das ist ein Schatz, mit dem wir unglaublich sensibel umgehen müssen. Und ich hoffe, dass sich dieser Gedanke im Buch überträgt, ohne dass der Zeigefinger rauskommt. Dass dies geht, zeigen Romane von Michael Ende oder auch Cornelia Funke, wo es Botschaften gibt, die ganz fein in die Geschichte eingewoben sind. Jeder von uns hat ein Anliegen und jedes Buch ist politisch, aber das Wichtige ist, eine gute Geschichte zu erzählen. Schreibt man ein belehrendes Buch und bastelt dazu eine Geschichte, wird das Buch scheitern. Eine starke Geschichte, großartige Charaktere und dann noch eine Botschaft, die einem wirklich wichtig ist. So rum kann es funktionieren.

Im Februar ist bereits ihr zweites Kinderbuch erschienen. Das Bilderbuch „Das Müfflon und der Traum vom Stinken“. Haben Sie im Kinderbuch nun eine neue Leidenschaft entdeckt?

„Die Goldene Schreibmaschine“ zu schreiben war herausfordernd, aber auch sehr beglückend. Das Bilderbuch zu schreiben und sich dieses niedliche Müfflon auszudenken, war reine Freude. Also in Müfflonien stinken alle. Aber Ülf, die Hauptfigur, riecht wie eine Blumenwiese. Und damit ist er der Außenseiter. Er unternimmt alles, damit er richtig stinkt, aber es funktioniert nicht. Es war einfach nur beglückend, das zu schreiben. Und es ist großartig, wenn man dann die ersten Bildentwürfe bekommt. Bilderbücher könnte ich jede Woche schreiben, das ist echt ein Riesenspaß. Ich habe das Buch extra so konzipiert, dass man es gut vorlesen kann, dass die Bilder aber auch für sich viel aussagen und die Geschichte erzählen. Das kann ich eigentlich nur jedem Autor und jeder Autorin empfehlen: Schreibt Bilderbücher, es ist eine Riesengaudi.

Werden Sie in Zukunft also noch mehr Kinderbücher schreiben?

Es gibt ein Projekt, dass in näherer Zukunft herauskommen wird. Und mir ist tatsächlich auch die Idee für eine Fortsetzung der „Goldenen Schreibmaschine“ gekommen. Ob die realisiert wird, muss sich zeigen. Aber ich werde weiterhin auch für junge Leserinnen und Leser schreiben. Es bereichert mein Autorenleben enorm.

Vielen Dank für das Gespräch!

Euch interessiert, was Autor:innen zu sagen haben? Dann haben wir noch mehr Lesestoff für euch: Dayan Kodua ist Autorin und Verlegerin. Im Interview erzählt sie, weshalb Vielfalt in Kinderbüchern so wichtig ist.

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