Medien
Elternschule – nichts für schwache Nerven
Golrokh Esmaili · 24.10.2018
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Die Protagonisten: Kinder im chronischen Stress: Laura schreit 14 Stunden am Tag. Anna kämpft mit ihrer Mutter um alles. Lucy hat noch keine Nacht durchgeschlafen. Joshua wird schnell wütend und beruhigt sich nicht mehr. Mohammed Ali kratzt sich blutig, schläft kaum und jammert den ganzen Tag. Felix trinkt nur Milch, die er gleich wieder erbricht. Zahra isst nichts mehr, außer Pommes und Chicken Nuggets ...
Chronische Krankheiten behandeln
In ihrem Dokumentarfilm „Elternschule“ begleiten Jörg Adolph und Ralf Büchler mehrere Kinder und ihre Familien durch die mehrwöchige, stationäre Therapie der psychosomatischen Kinderklinik Gelsenkirchen-Buer. Der Psychologe Dietmar Langer hat ein Programm entwickelt – zusammen mit einem Team aus Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften – in dem Kinder mit chronischen Krankheiten behandelt werden: Neurodermitis, Asthma, Allergien, Schlaf- und Essstörungen, Verhaltensauffälligkeiten. Mindestens drei Wochen lang bleiben Eltern und Kinder in der Klinik und durchlaufen ein umfassendes Programm: Schlaftraining, Esstraining, Verhaltenstraining, Psychotherapie und Erziehungscoaching. Hier wird nicht nur die vermeintliche Krankheit des Kindes, sondern das gesamte Beziehungsgeflecht der Familie unter die Lupe genommen.
Zwang, Entbehrung, Druck
Der Zuschauer erkennt schnell: Nicht nur die Kinder sind im chronischen Stress – auch die Eltern wirken genervt, erschöpft und überfordert. Hoffnungsvoll geben sie ihre Kinder in die Obhut von Dr. Langer und seinem Team, die sich das gesamte System Familie anschauen und gemeinsam eine Therapieform finden. Diese ist nicht jedermanns Sache, soviel vorweg. Oberstes Gebot: Den Kindern muss gezeigt werden, wer der Chef im Hause ist. Das Kind hat zu gehorchen. Mit Zwang, Entbehrung und Druck wird es erzogen. Nach dem Film haben mein Mann und ich uns sogar gefragt, ob man die ein oder andere Situation vielleicht sogar hätte zur Anzeige bringen müssen.
Wie die beiden Filmemacher Jörg Adolph und Ralph Bücheler das Elend filmen konnten, ohne selbst einzugreifen, bleibt mir ein Rätsel. Für die Verfechter des Buches „Jedes Kind kann schlafen lernen“ ist diese Klinik sicherlich eine Freude. Für die Freunde von Attachment Parenting der totale Horror. Denn Kinder werden hier bis zur totalen Erschöpfung schreien gelassen. Kinder werden gezwungen zu essen. Eine der für mich am schlimmsten zu ertragenden Szenen war in diesem Zusammenhang die schwergewichtige Krankenschwester, die mit Can, der laut Langer an einer Regulationsstörung leidet, in einem Isolationszimmer sitzt und ihn unter Zwang füttert. Sie hält das schreiende Kind fest und schiebt ihm den Löffel in den Mund. Er wehrt sich so sehr, dass sie sich dann mit ihm auf den Boden setzt und ihn mit Gewalt festhält. Damit er nicht ‚fliehen’ kann, schlingt sie auch noch ihre kräftigen Beine um ihn. Kein liebvolles Zureden. Kein Lied was gesummt wird, kein Lächeln auf ihren Lippen. Der kleine Junge verschwindet fast in ihr. Kaum auszuhalten.
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Oder das zweijährige Kind, das aus erzieherischen Maßnahmen in die so genannte Mäuseburg gesteckt wird. Die Mäuseburg ist der Therapie-/Spielraum, in dem Kinder dadurch konditioniert werden, dass sie dort von ihren Müttern getrennt werden. Ich weiß schon gar nicht mehr, warum es von der Mutter getrennt werden sollte. Ist mir – ehrlich geschrieben – auch ziemlich egal. Ein Kind, das über Stunden verzweifelt nach seiner Mutter sucht, in einer fremden Umgebung, mit fremden Menschen – da frage ich nicht mehr nach erzieherischen Gründen. Was auch immer es war, nichts rechtfertigt dieses Verhalten erwachsener Menschen Kindern gegenüber. Nichts.
Die Filmemacher scheinen diese Methoden gutzuheißen. Erfolgserlebnisse werden gerne in Slow-Motion-Aufnahmen mit angeblich glücklichen Kindern gezeigt. Scheinbar gehen diese repressiven Methoden auf. Es gibt ja auch jede Menge Eltern, die „Jedes Kind kann schlafen lernen“ gut finden. Ich jedenfalls gehöre nicht dazu und darum war die Dokumentation für mich – ganz persönlich – kaum auszuhalten.
Dieser Beitrag zum Film „Elternschule" wurde öffentlich stark diskutiert. Wir bieten euch hier eine Auswahl von Reaktionen und Einschätzungen, damit ihr euch selber ein Bild machen könnt.
Regisseur Jörg Adolph spricht auf SWR2 über seinen Film „Die Elternschule" und geht auch auf unseren Text ein. Für ihn ist die Elternschule ein „vernünftiger Vorschlag zur Erziehung" und die Gelsenkirchener Klinik wie eine „Zauberschule". Unsere Autorin dagegen habe den Film „nur mit den eigenen Augen gesehen" und solle ihre „Arbeitsweise überdenken". Die vielen Kritikerinnen am Film seien „hysterische Mütter", die jetzt „steil gehen".
Der Kinderarzt, Wissenschaftler und Buchautor Dr. Herbert Renz-Polster hat den Film gesehen und kommentiert ihn ausführlich. Sein Fazit: „Schämen sollten wir uns dafür, dass dieser Film in unserer Gesellschaft nicht mehr Widerspruch bekommt. Schämen sollten wir uns, dass wir „das Geheimnis der guten Erziehung“ wieder in Härte und bedingungsloser Unterwerfung suchen. Schämen sollten wir uns, dass DAS die Hilfe ist, die wir den in Not geratenen Familien anbieten."
In einem zweiten ausführlichen Kommentar betrachtet Dr. Renz-Polster sehr kritisch den Umgang großer Medien wie SZ, WDR, ZEIT online und anderen mit dem Film. Für ihn plappern sie lediglich Behauptungen nach ohne Hintergründe zum Thema zu recherchieren. „Dass die in dem Film dazu gegebenen Informationen umstritten sind: kein Wort davon. Dass die gezeigten Behandlungmethoden auch in der Fachwelt umstritten sind: kein Wort davon. Wie die Therapielandschaft für solche schwer leidenden Familien aussieht, und wie dürftig sie ist – kein Wort davon. Wie die in dem Film gezeigte Gewalt gegen Kinder [...] einzuordnen ist – kein Wort dazu."
Der Bayrische Rundfunk empfiehlt den Film „Elternschule" und bewertet ihn als „zurückhaltenden, authentischen und gerade dadurch kraftvollen Blick auf die Suche nach einer guten Erziehung". In dem Beitrag kommt der Regisseur Ralf Bücheler zu Wort.
Der WDR-Beitrag in Westart empfiehlt den Film unter dem Titel „Das Geheimnis guter Erziehung" und stellt fest, dass die Kinder am Ende der dreiwöchigen Behandlung wieder Kinder sind: „vergnügt, aufgeweckt und ausgelassen – eine tolle Erfahrung."
Der ZDF-Beitrag in der Sendung „Volle Kanne" bewertet „Elternschule" als spannenden Film mit vielen Aha-Momenten, aus dem Eltern jede Menge Anregungen für die Erziehung ihres eigenen Nachwuchses mitnehmen." Der Psychologe, Psychotherapeut und Leiter der Abteilung Dietmar Langer sitzt hier im Gespräch mit den beiden ModeratorInnen am Frühstückstisch und spricht über seine Arbeit.
Spiegel online empfiehlt den Film, denn „er zeigt auf überzeugende Weise, dass Wissen und Techniken dabei helfen können, aus glücklichen Kindern glückliche Eltern zu machen."
Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) reagiert auf Anfragen zum Film mit einem Kommentar, der vor allem die Persönlichkeitsrechte der gezeigten Kinder in den Vordergrund stellt. Er stellt in Frage, „ob die Einwilligung der Kinder aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung sowie die Einwilligung der Eltern aufgrund der Abhängigkeit gegenüber solchen Hilfsangeboten objektiv gegeben sein kann."
Die Süddeutsche Zeitung eröffnet ihren Kommentar mit einem Zitat unserer Autorin und stellt fest, dass es in dem Film „nicht um Kindersoldaten oder Völkermord [geht] - gezeigt wird vielmehr die Therapie psychosomatisch erkrankter, verhaltensauffälliger Kinder in einer Klinik in Gelsenkirchen. [...] Ihre Eltern lernen, wie sie liebevoll, aber konsequent Grenzen setzen können. „Elternschule" dokumentiert diesen Prozess."