Kolumne
Von Müttern und Monstern
Frau Karli · 17.05.2022
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Neulich kam ich ins Gespräch mit einer kommunikativen jungen Frau, die mir in erstaunlich kurzer Zeit erstaunlich viel über sich und ihre Lebensumstände offenbarte. Das passiert mir häufiger: Weil ich mitunter auf Außenstehende und Fremde aufgeschlossen und gesprächig wirke, vertrauen sich mir Menschen aller Couleur an – freilich ohne zu ahnen, dass ich Kolumnen schreibe.
Die junge Frau jedenfalls, nennen wir sie Lisa, stellte gleich klar, was sie von der Welt und von der Menschheit hielt. Unbekümmert feuerte sie ihre markigen Werturteile ab und ich begann innerlich bereits mitzuschreiben. Insbesondere Mütter kamen bei ihr schlecht weg. Frauen, die sich von einem Mann oder der Natur oder dubiosen eigenen Motiven in die Mutterrolle hatten pressen lassen, fand sie ganz besonders schwachmatisch. Frauen, die ihre Kinder, ihre Figur, ihr Leben nicht im Griff hatten. Irgendwann fragte ich mich flüchtig, wann der Zeitpunkt verstrichen war anzumerken, dass auch ich eins dieser säuseligen, knutschenden Brotdosen-Feuchttuch-Monster bin. Egal.
Ich lauschte Lisas Stream of Consciousness und mir fiel allmählich auf, dass sie keinerlei eigene Makel thematisierte. Was ja keine Schande und sowieso auch eine Frage der Lebensphase ist. Denn selbst wenn ich Lisas Ansichten nicht bis in alle Verästelungen teile, kann ich mich doch in sie hineinversetzen: Als mein Mann und ich noch jung und kinderlos und ohne nennenswerte Herausforderungen im Leben waren, fiel es uns auch viel leichter, ein vorteilhaftes Selbstbild aufrechtzuerhalten. Manchmal vermisse ich die Zeiten, in denen ich der Nabel der Welt war – unantastbar und unerreichbar für Hinweise, Kritik und Anliegen anders gefusselter Menschen. Doch zuweilen schwant mir, dass diese Zeiten kommen und gehen wie Ebbe und Flut. Und so frage ich Sie, liebe Leserschaft: Sind wir nicht alle ein bisschen Lisa?
© John Krempl/photocase.com
Frau Karli lebt zusammen mit ihren beiden Töchtern und ihrem Mann, der zugleich ihre Jugendliebe ist, in freundlichen Verhältnissen irgendwo im Raum Köln. Sie beherrscht das gesamte Alphabet, hält herzlich wenig von medialer Freizügigkeit und kann alle Familienmitglieder am Duft ihrer Stirn erkennen.
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