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Gesundheit

Zähneknirschen setzt enorme Kräfte frei

Ursula Katthöfer · 05.09.2022

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© irena_geo/AdobeStock

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Wenn Kinder mit den Zähnen knirschen, bekommen Eltern Gänsehaut. Was für ein Geräusch! Die Gründe sind ganz unterschiedlich. Kleinkinder knirschen manchmal, um ihr neues Gebiss zu erforschen. Bei älteren Kindern ist Stress die häufigste Ursache.

Manche Kinder halten ihre Eltern sogar nachts wach, weil ihre Kiefer hörbar arbeiten und dabei ungeahnte Kräfte freisetzen. Das Zähneknirschen (die Zahnmedizin nennt es Bruxismus) nehmen die Kinder häufig gar nicht wahr. Es ist eine sogenannte Parafunktion, also unbewusst und ohne Funktion. Das gilt auch für das unbewusste Pressen der Zähne, der Lippen und der Zunge.

Ab einem Alter von drei Jahren sollten Eltern das Zähneknirschen gut beobachten. Vor allem wenn die Milchzähne bereits durch bleibende Zähne ersetzt wurden, ist Aufmerksamkeit geboten. Denn knirschende Zähne können zu Schäden führen, die sich noch lange bemerkbar machen:

  • Der schützende Zahnschmelz geht verloren
  • Zähne lockern sich
  • Die Zähne werden kälte- und hitzeempfindlich. Sie reagieren auf Süßes oder Saures

Manche Kinder essen wenig, andere lassen es sich gerne ausgiebig schmecken. Alles in allem kaut jedoch kaum ein Kind länger als 30 Minuten pro Tag. Das Zähneknirschen kann viel länger dauern. Nachts sind 45 Minuten am Stück nicht ungewöhnlich. Wer als Kind mit den Zähnen knirscht, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsener tun. Da Ober- und Unterkiefer durch Nerven und Muskeln mit Nacken, Rücken und Ohren verbunden sind, wirken die Kräfte sich in den unterschiedlichsten Körperregionen aus. Es kann zur Craniomandibulären Dysfunktion (CMD) kommen. CMD-Patient:innen klagen nicht nur über Kieferschmerzen, sondern haben oft Verspannungen, Kopfschmerzen, Schluckbeschwerden, Schwindel, Schlafstörungen und sogar Depressionen. Oft werden die Symptome erst sehr spät auf das Zähneknirschen zurückgeführt.

Hättet ihr das gewusst?
Der Kiefer ist das stärkste Gelenk des Menschen. Denn für das Abbeißen oder Kauen von Nahrung ist viel Kraft nötig. Während wir kauen, dosieren wir die Kräfte selbst. Bei Erwachsenen liegen sie während des Kauens zwischen 15 und 40 Kilogramm pro Zahn – je nach Position im Gebiss. Beim Zähneknirschen sind es sogar 100 Kilogramm – pro Zahn!

Zahnschienen schützen

Sprüche wie „Jetzt beiß mal die Zähne zusammen “ oder „Dem zeigen wir jetzt die Zähne“ belegen, dass Anspannung und Stress sich auf unser Gebiss auswirken. Auch das Zähneknirschen ist häufig Ausdruck eines erhöhten Aktivitätslevels des Kindes. Atemübungen, Lob und Zuwendung können Kindern helfen, Stress abzubauen. Hilft das nicht weiter, können Kinderzahnärzt:innen Zahnschienen verordnen. Sie sind aus durchsichtigem Kunststoff und schützen die Zähne vor dem Abrieb. Zahnschienen sollten immer dann eingesetzt werden, wenn das Kind viel knirscht. Das kann nachts sein, aber zum Beispiel auch während der Hausaufgaben. Allerdings akzeptieren vor allem jüngere Kinder die fremde Schiene in ihrem Mund nicht immer. Zudem wächst die Schiene nicht mit. Das Gebiss verändert sich aber mit jedem Wackelzahn, der ausfällt. Deshalb bieten die Schienen sich vor allem für Kinder und Jugendliche an, die den Zahnwechsel bereits abgeschlossen haben. Manchmal ist das Zähneknirschen auf eine Zahnfehlstellung zurückzuführen. Dann hilft die Kieferorthopädie.


„Zähneknirschen ist die Folge erhöhter Aktivität“

Prof. Dr. Christian Hirsch, MSc, ist Zahnarzt und Direktor der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde und Primärprophylaxe am Universitätsklinikum Leipzig. Wir fragten ihn, was Eltern gegen das Zähneknirschen ihrer Kinder tun können.

KÄNGURU: Wie viele Kinder knirschen mit den Zähnen?

Prof. Dr. Christian Hirsch: Das ist schwer zu sagen, denn wir können Dreijährige nicht selbst fragen. Eine verlässliche Aussage kann es nur geben, wenn ein Kind im Schlaflabor überwacht wird. Dort werden Geräusche und Muskelaktivitäten aufgezeichnet. Auch die Angaben der Eltern spiegeln die Wirklichkeit nicht gut wider. Ich schätze, dass etwa jedes vierte Kind mit den Zähnen knirscht. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt es also in allen Familien.

Sollten Eltern sofort die Kinderzahnarztpraxis aufsuchen, wenn sie das Knirschen feststellen?

Zähneknirschen ist kein Notfall. Eltern müssen deswegen keinen Extratermin vereinbaren. Wir empfehlen, dass sie ihre Kinder sowieso alle sechs Monate dem Zahnarzt vorstellen, sofern es keine anderen Probleme gibt. Dann kann auch das Zähneknirschen besprochen werden. Manchmal fällt der Abrieb an den Front- und Backenzähnen zunächst den Eltern auf, bevor der Zahnarzt das Thema anspricht.

Was unternimmt der Zahnarzt oder die Zahnärztin?

Zunächst wird der Zahnabrieb bestimmt, um den Schweregrad einzuschätzen. Liegt bereits Dentin, also Zahnbein, frei, handelt es sich um einen schweren Grad. Eine Füllung kann man dann nicht machen, denn der Zahn hat ja kein Loch. Bei Kindern nach dem Ende des Zahnwechsels kann eine Schutzschiene angepasst werden. Das ist allerdings eine rein symptomatische Therapie, denn das Zähneknirschen hört durch eine Schiene ja nicht auf.

Müssen Eltern sich schuldig fühlen, wenn ihr Kind mit den Zähnen knirscht?

Nein, natürlich nicht. Zähneknirschen ist die Folge einer zentral erhöhten Aktivität. Sie kann ganz unterschiedliche Ursachen haben: Schlafprobleme, psychische Erkrankungen oder ADHS. Auch wenn Kinder nachts schlecht Luft bekommen, weil sie große Rachen- oder Gaumenmandeln haben, kann es zu Schlafproblemen und Zähneknirschen kommen. Koffeinhaltige Getränke wie Cola oder Energydrinks erhöhen die Aktivität ebenso. Auf sie sollte schon wegen des hohen Zuckergehalts verzichtet werden. Auch viel Medienkonsum wirkt aktivitätsanregend.

Also kann das Spielen am Handy Zähneknirschen verursachen?

Indirekt schon. Denn wir beobachten, dass Kinder, die viele Medien konsumieren und abends z. B. noch aufregende Filme sehen, häufiger mit den Zähnen knirschen als Kinder, die das nicht tun. Und wir wissen, dass die Ursachen für das Zähneknirschen nicht im Kausystem selbst liegen.

Sollten Eltern darüber hinaus auch an sich selbst arbeiten, um auf ihr Kind zum Beispiel weniger Druck auszuüben?

Na ja, wir müssen das gesamte familiäre Umfeld betrachten. Manche Kinder haben 12- bis 14-Stundentage. Nach der Schule kommen Tanzen und Reiten, Logopädie und Ergotherapie. Da wundert es nicht, wenn Kinder aufgedreht sind. Natürlich möchten Eltern ihre Kinder maximal fördern, doch täte Entschleunigung allen gut. Auch bessere Schlafbedingungen können helfen. Das Kind sollte es nachts dunkel, leise und kühl haben. Außerdem sollten möglichst nicht alle in einem Bett schlafen, da die Unruhe des einen sich auf den anderen überträgt.

Vielen Dank!


Prof. Dr. Christian Hirsch © Universitätsklinikum Leipzig