Gesundheit
Unfälle im häuslichen Bereich
Anja Janßen · 13.02.2013
zurück zur Übersicht© istockphoto.com badmanproduction
Sina - gerade mal ein Jahr alt - gehört momentan der Altersgruppe an, die für Verletzungen im Haushalt besonders empfänglich ist. Zu dem Bruch kam es, als sie vom Wickeltisch gefallen ist. Nach Angaben des statistischen Bundesamts haben Säuglinge und Kleinkinder das höchste Risiko für einen tödlichen Unfall im häuslichen Bereich. Ist denn am Ende das eigene Heim für kleine Kinder noch gefährlicher als der Straßenverkehr? Nein, schätzt der Großteil befragter Eltern in einer aktuellen Studie der GfK Finanzmarktforschung. Tatsächlich aber passieren die meisten Unfälle zu Hause und in der Freizeit. Besonders betroffen: Kinder unter sechs Jahren. Und nicht immer muss es so glimpflich ausgehen wie bei Sina. Das statistische Bundesamt sieht Präventionsbedarf. Denn der Rückgang der Heim- und Freizeitunfälle ist deutlich geringer als die Abnahme der tödlichen Unfälle im Straßenverkehr. Aber wie gestaltet man eine sichere Umgebung, in der sich der Nachwuchs frei entfalten kann?
Die Küche
Heißer Tee, Kaffee, Herd und Wasserkocher – in der Küche ist die Gefahr für Verbrühungen und Verbrennungen besonders hoch. Abgesehen von den körperlichen Schmerzen, den Narben und der Infektionsgefahr stellen Brandwunden für die Betroffenen eine starke psychische Belastung dar. Ist mehr als ein Prozent der Haut verbrannt, sollte ein Arzt aufgesucht werden. „Ein Prozent, das entspricht ungefähr der Größe einer Handfläche“, informiert Professor Dr. Jörg Dötsch, Leiter der Kinderklinik der Uniklinik Köln.
Hinsichtlich Verbrühungen und Verbrennungen herrscht noch viel Präventions- und Informationsbedarf, folgert das Statistische Bundesamt aus den neuesten Erhebungen. Denn die Anzahl der kleinen Kinder mit thermischen Verletzungen ist in den letzten zehn Jahren nach wie vor hoch. Besonders für die Kleinen ist das rege Treiben und Hantieren in der Küche spannend und interessant. Neugierig erkunden sie ihre Umgebung, wollen sich beteiligen, fassen Dinge an, ziehen etwas zu sich runter. Warum nicht auch einmal am verlockenden Kabel des Wasserkochers reissen?
Als Faustregel gilt deshalb: Kleine Kinder sollten sich in der Küche nur unter Aufsicht aufhalten. Natürlich eignen sich Herdschutzgitter, Herdtürstopp oder Schutzvorrichtungen an den Plattenreglern. Daneben sollten Eltern aber immer wieder das eigene Verhalten in der Küche reflektieren. Das geht darüber hinaus, auf der hinteren Platte zu kochen und die Stiele der Pfannen nach innen zu drehen. Bezieht man Kinder altersgemäß in den Haushalt ein, üben sie automatisch den Umgang mit Gefahren. Ein Vierjähriger kann unter Aufsicht durchaus einmal mit einem stumpfen Besteckmesser Kartoffeln schneiden. Und auch für die Kleinsten finden sich Aufgaben, wie das Zupfen des Salats. Gleichzeitig beobachten die Kinder, wie verantwortungsvoll sich die Erwachsenen in der Küche bewegen: Für heiße Auflaufformen werden Topflappen benutzt und spitze Messer trägt man mit der Klinge in Richtung Fußboden.
Das Schlaf- und Kinderzimmer
Wenn das Haus voll ist und viele Kinder zu Besuch sind, wird zwischendurch gerne mal getobt. Prima, wenn das Kinderzimmer auch noch mit einem Hochbett oder gar Rutsche, Kletterseil und Hängematte ausgestattet ist. Das lädt zum Turnen ein, bietet aber auch Potenzial für gefährliche Unfälle. „Stürze, vor allem vom Hochbett, erleben wir in der Kinderklinik am häufigsten“, sagt Dötsch. Die Folgen sind Gehirnerschütterungen oder offene Wunden.
Inke Ruhe, Unfallexpertin und stellvertretende Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder“ (BAG), rät zu klaren Absprachen: „Wird getobt, ist das Hochbett tabu. Das sollte im Vorhinein mit den Kindern geklärt werden.“ Zusätzlich dämpft ein weicher Untergrund einen möglichen Aufprall. Experten raten allerdings von Hochbetten in Kinderzimmern ganz ab.
Ebenfalls von den Sicherheitsexperten der BAG nicht gern gesehen: Hängematten und Kletterseile in Kinderzimmern. Die Strangulationsgefahr dieser Gegenstände ist nicht zu unterschätzen.
Egal, ob auf der Wickelkommode, im Hochstuhl, auf dem Elternbett oder der Couch – kleine Kinder wollen generell im Auge behalten sein. Und manchmal sind es nicht die großen Möbel, sondern Kleinigkeiten, die erhebliche Unannehmlichkeiten bereiten. „Legosteinchen vom großen Bruder oder eine Erdnuss vom Vorabend“, gibt Dötsch da zu bedenken. Kinder erkunden im ersten Lebensjahr die Dinge vorzugsweise mit dem Mund. Kleinteile finden deshalb auch schnell den Weg in die Luftröhre und sollten aus diesem Grund nicht achtlos herumliegen.
Treppen
Schutzgitter machen die Treppe kindersicher – aber nur bis zu einem gewissen Alter. Ab dem zweiten Lebensjahr bieten Treppengitter für Kinder eine spannende Klettermöglichkeit. Das provoziert Unfälle. Treppensteigen will deshalb frühzeitig geübt sein! Damit kleine Kinder sich von Anfang an sicher auf den Stufen bewegen, rät die Unfallexpertin Inke Ruhe: „Besser krabbelnd und auf allen Vieren als immer an der Hand“. Hinunter kann die Treppe auch auf dem Popo gerutscht werden. Auf diese Weise meistern schon die Kleinsten schwierige Stufen nach eigenem Können und lernen frühzeitig den sicheren Umgang damit.
Bewältigt das Kind die Stufen an der Hand, sollte es immer außen gehen und sich an der Wand abstützen können. Auch wenn das schmutzige Handabdrücke auf der weißen Tapete bedeutet. Denn Treppen, die in einer Kurve verlaufen, werden innen am Geländer eng und damit schnell zur Stolperfalle.
Steckdosen
Bis in die hintersten Winkel erkunden Kinder ihre Umgebung und entdecken natürlich auch Steckdosen. Gerne wird mit einem Spielzeug nachgebohrt, was es mit den interessanten Löchern in der Wand auf sich hat. Ein Stromunfall kann lebensbedrohliche Herz-Rhythmus-Störungen zur Folge haben. Deshalb muss nach einem elektrischen Schlag sofort eine Klinik aufgesucht werden. Um derartige Unfälle zu vermeiden, gibt es Steckdosenschutz mit Verschlussmechanismen, Kinder-Schutz-Steckdosen unter Putz oder Sicherungen, die in die Steckdose geklebt werden. „Erwartet man ein Kind, sollte die Wohnung kindersicher gemacht werden - und zwar rechtzeitig“, rät der Leiter der Kinderklinik.
Der Garten
Schnell eine Runde auf dem Fahrrad gedreht, natürlich mit dem Helm und dann geht es ab auf den nächsten Baum. Und weil der neue Fahrradhelm so schön ist, wird er gleich anbehalten – eine gefährliche Sache beim Klettern. Aufgrund seiner langjährigen Klinikerfahrung mahnt der Professor: „Fahrradhelme sind nur zum Fahrradfahren da. Für alles andere gibt es spezielle Helme.“ Verhaken sich die Riemen und Laschen des Fahrradhelms in Ästen oder Klettergerüsten, kann es zur Strangulation kommen.
Daneben weisen viele Gärten Regentonnen, Planschbecken oder einen Gartenteich auf – spannende Orte zum Spielen und Experimentieren. Damit aus dem Spaß kein Ernst wird, sollten sich Kinder nur unter Aufsicht an Gewässern aufhalten. Denn ein ertrinkendes Kleinkind kann sich auch aus einem flachen Gewässer nicht aus eigener Kraft befreien. In einer derartigen Notlage beherrschen kleine Kinder noch nicht die Strategien eines Erwachsenen oder älteren Kindes. Hilferufe oder Geschrei bleiben deshalb aus. Zur Absicherung von Gewässern eignen sich Zäune, Teichnetze oder Baustahlmatten. Diese Vorkehrungen ersetzen aber niemals die Aufsicht durch einen Erwachsenen.
Bei all den Sicherheitsmaßnahmen wird dem ein oder anderen zu Recht schwindelig. Was ist, wenn ich eine Gefahrenquelle übersehe? Kein Ratgeber, kein Artikel und keine Broschüre kann sich auf Vollständigkeit berufen. Denn: „Man muss immer damit rechnen, dass Kinder etwas Neues dazu gelernt haben und sich etwas Neues ausdenken“, sagt Dötsch. Aufsicht ist also das A und O. Was aber ist angemessene Beaufsichtigung und wo fängt Überbehütung an?
Stichwort „Risikokompetenz“
Der Grad zwischen Aufsicht und Überbehütung ist schmal. Kinder brauchen die Möglichkeit, Erfahrungen selbst zu sammeln –aber im sicheren Raum. „Das heißt bei weitestgehender Ausschaltung von Gefahren“, so die Unfallexpertin von der BAG. Natürlich stößt sich jeder den Kopf, und „aus einer Beule lernt man“, betont sie. Ein völlig risikofreies Leben ist nicht möglich. Es geht darum, Gefahrenquellen für Strangulation, Verbrühung, gefährliche Stürze oder Schnittverletzungen in der eigenen Wohnung wahrzunehmen und schwere Unfälle vorzubeugen.
Sina ist nach der Operation zum Glück wieder auf dem Damm. Nun juckt es sie nicht nur unter dem lästigen Gips, sondern auch schon wieder in den Fingern, auf Expedition zu gehen – denn in der Wohnung gibt es ja noch so viel Spannendes zu entdecken.
Checkliste für mehr Sicherheit im Haushalt
Badezimmer
- Die Wassertemperatur ist auf max. 45°C (für Babys 38°C) begrenzt
- Elektrische Geräte (z.B. Föhn) sind sicher verstaut
- Medikamente, Kosmetika und Nagelscheren sind im Schrank verschlossen
- Kinder baden nur unter Aufsicht
Küche
- Der Herd ist mit einem Herdschutzgitter versehen
- Die Herdplattenregler sind versenkt oder mit einer Schutzvorrichtung gesichert
- Elektrogeräte (Wasserkocher, Kaffeemaschine, Bügeleisen, Friteuse) inklusive Kabel befinden sich außerhalb der Reichweite von Kindern. Stecker sind konsequent gezogen!
Kinderzimmer
- Schnüre und Kordeln befinden sich außerhalb der Reichweite von Kindern
- „Immer eine Hand am Kind“, das auf dem Wickeltisch liegt
- Hochbetten sind zum Toben tabu
Fenster, Treppen, Balkone
- Kletterhilfen (Tische, Stühle, Regale) sind ausreichend von Fenstern und Balkongeländern entfernt
- Fenster und Balkontüren sind mit Sicherheitssperren versehen
- Treppen sind bis zum 2. Lebensjahr mit einem Schutzgitter gesichert
Vergiftung und Ersticken
- Haushaltschemikalien werden im Oberschrank aufbewahrt
- Erdnüsse und andere Kleinteile sind für Kleinkinder unerreichbar
Die restliche Wohnung
- Steckdosen sind mit Kindersicherungen versehen
- Im Flur sowie in den Wohn- und Schlafräumen sind Rauchmelder angebracht
Garten
- Der Gartenteich ist mit einer Baustahlmatte dicht unter der Wasseroberfläche gesichert
- Regentonnen sind mit einem abschließbaren Deckel verschlossen
- Fahrradhelme sind zum Klettern und Spielen tabu
Wichtige Telefonnummern
- Notfallnummern liegen griffbereit neben dem Telefon
- Giftnotrufzentrale Bonn: Tel. 0228 – 287 32 11
- Im Notfall nicht zögern und 112 wählen!
Infomationen:
Broschüren „Zu Hause sicher leben" und „Faszination Feuer!", herausgegeben von DAS SICHERE HAUS. www.das-sichere-haus-de
Broschüre „Erste Hilfe - Unfälle mit Kindern", herausgegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder (BAG). www.kindersicherheit.de
Rauchmelder retten Leben: www.rauchmelder-lebensretter.de
Kurse in Erste Hilfe bei Kinderunfällen bieten z.B. Johanniter-Unfall-Hilfe, Deutsches Rotes Kreuz, Malteser, AWO, ASB, Familienbildungsstätten