Gesundheit
Quarantäne mit Kindern
Golrokh Esmaili · 22.07.2020
zurück zur ÜbersichtAutorin Stephanie Leloup zeichnet
KÄNGURU: Wie haben Sie mit ihrer Familie die Quarantäne erlebt?
Stephanie Leloup: Die Quarantänezeit war für die ganze Familie ein Abenteuer. So lange waren wir vier noch nie zusammen, gemeinsam auf so engen Raum beschränkt. Die erste Quarantäne dauerte 1 1/2 Wochen. Sie kam sehr plötzlich und völlig unerwartet. Dann waren wir gerade wieder vier Tage aus der Quarantäne raus, als der Anruf kam, dass mein Mann sich auf der Arbeit mit COVID-19 angesteckt hat. Als es dann wieder hieß: „Ab in die nächste Quarantäne" wussten wir sofort, dass es für unsere Kinder diesmal schwer werden würde. Dann kamen die ersten Fragen unseres 4-jährigen Sohnes. Warum müssen wir schon wieder drinnen bleiben? Dürfen wir überhaupt wieder raus? Gefolgt von Aussagen wie: Ich habe Angst, wir müssen jetzt immer drinnen bleiben.
Wenn uns Familienmitglieder oder Freunde mit Lebensmitteln etc. versorgt haben und wir uns anschließend mit ihnen am gekippten Fenster unterhielten, war die Sehnsucht unserer Kinder nach draußen am größten. Sie wollten unbedingt zur Tante, zum Onkel und zu unseren Freunden. Sie umarmen, ihnen etwas zeigen ... aber sie durften nicht. Solche Situationen waren emotional sehr schwierig.
Wie kommen Kinder mit einer solchen Situation klar?
Ich persönlich bin der Meinung, dass man mit Kindern offen über die Situation reden sollte. Ihnen erklärt, was Quarantäne bedeutet. Klar macht, dass es eine außerordentliche Situation ist. Wenn Kinder Dinge nicht kennen, entwickeln sie oft Ängste. Kinder machen sich Sorgen. Sie zeigen es nur häufig nicht. Daher muss man ihnen immer ein offenes Ohr schenken, ihnen zuhören. Wenn sie Fragen haben, dann sollte man sie ihnen offen und ehrlich beantworten. Wichtig ist dabei aber immer, dass man kindgerecht und anschaulich erklärt.
Bei unseren Kindern war es so, dass vor allem unser 4-jähriger Sohn tagsüber, dank Garten und gutem Wetter, häufig fast völlig vergaß, dass wir in Quarantäne waren. Er war abgelenkt. Aber abends, wenn es ruhiger wurde, er ins Bett ging, dann schlichen sich die Gedanken und Fragen ins Bewusstsein. Wir haben oft im Bett gelegen und über die Quarantäne gesprochen. Ich wollte, dass er sich ernst genommen fühlt.
Wenn es ein besonderes Gesprächsthema gibt, dann nehme ich gerne ein passendes Kinderbuch dazu ... es gibt jede Menge Bücher, die erklären was ein Virus ist, warum man sich die Hände waschen muss etc. aber keins zum Thema Quarantäne. Das ist der Grund warum ich letztlich selber aktiv wurde. Ich hoffe nun, dass Kalli in Zukunft auch anderen Kindern und Eltern helfen kann, das Thema Quarantäne besser zu erklären und zu verstehen. „Kalli Krake in Karatäne" soll ihnen zeigen, dass man keine Angst haben muss. Dass Quarantäne zwar doof ist, aber nicht schlimm. Und vor allem, dass sie auch wieder vorbei geht.
„Für alles muss man die Hilfe und Unterstützung anderer erbitten, annehmen und vor allem zulassen. Das fiel manchmal echt schwer."
Was war das größte Problem während dieser Zeit?
Es gab zwei große Probleme. Das größte war, dass wir unseren Kindern bei der zweiten Quarantäne erklären mussten, dass die gerade wieder zurückgewonnene Freiheit wieder weg ist. Das war der Zeitpunkt, wo die Fragen und Ängste aufkamen und ich anfing nach einem passenden Buch zu suchen. Eigentlich die Geburtsstunde von Kalli Krake.
Und das zweite große Problem war die Unselbstständigkeit. Für alles, was außerhalb der eigenen vier Wände zu besorgen oder zu erledigen war, auf „fremde" Hilfe angewiesen zu sein. Und ausgerechnet in dieser Zeit geht dann z.B. die letzte Knopfbatterie leer oder die Druckerpatronen sind alle. Und für alles muss man die Hilfe und Unterstützung anderer erbitten, annehmen und vor allem zulassen. Das fiel manchmal echt schwer.
Wie wichtig sind Strukturen im Alltag?
Uns als Familie sind Strukturen schon immer wichtig. Sie helfen uns durch den Alltag und geben den Kindern Halt. Sie können sich drauf verlassen. Diese Strukturen haben uns während der Quarantänezeit sehr geholfen. Sie waren wie eine Art Seil, an dem wir uns entlanghangeln konnten. So haben wir uns, glaube ich, davor bewahrt, in ein Tief zu fallen. Zwar fielen gewisse regelmäßige Termine wie Fußballtraining und Kinderturnen weg, aber um diese Lücken zu schließen haben wir gemeinsam Neue erstellt. So wünschten sich die Kinder z.B. Kinderyoga. Also haben wir gemeinsam Yoga gemacht oder gemeinsame Zeit im Garten verbracht.
„Die Quarantänezeit hat uns als Familie zusammengeschweißt. Auch die Verbindung unserer Kinder als Geschwister ist seitdem viel enger und intensiver.“
Gibt es auch positive Erfahrungen, die Sie mit der Quarantäne verbinden?
Die Quarantänezeit hat uns als Familie zusammengeschweißt. Auch die Verbindung unserer Kinder als Geschwister ist seitdem viel enger und intensiver. Zwar gab es auch ein paar Tiefpunkte, aber die gehören einfach dazu. Wir haben immer versucht positiv zu denken und dass Beste aus der Situation zu machen. Ich finde, gerade in solchen Zeiten soll man aus den eigenen Ressourcen schöpfen und diese nutzen. So habe ich zum Beispiel meine künstlerischen Fähigkeiten dazu genutzt, Kalli Krake zu erschaffen. Ich habe aus unserer Not eine Tugend gemacht und dachte mir „Wenn ich kein geeignetes Buch finde, das Kindern Quarantäne erklärt, dann schreibe und illustriere ich selber eins." Die Zeit war da, es brachte ein wenig Abwechslung und machte auch den Kindern Spaß. Wir saßen oft zusammen am Tisch und haben alle gemalt. Mein Sohn war in dieser Zeit mein größter Kritiker und hat auch Verbesserungsvorschläge und Ideen mit eingebracht. Er half mir sehr dabei, das Thema Quarantäne aus Sicht eines Kindes zu sehen. Das war natürlich sehr hilfreich dabei, Kallis Geschichte möglichst kindgerecht zu schreiben und zu gestalten.
Wie können Eltern Job und Kinder in dieser Zeit unter einen Hut bekommen?
Ich hatte wirklich das Glück, das ich lange Zeit von meinem Arbeitgeber freigestellt war. Zwischen den zwei Quarantänen, sowie auch noch einige Zeit danach. Aber ich stelle es mir anstrengend vor. Während unserer Quarantäne war das Schreiben und Malen zwar nicht mein Job, sondern eher auch ein Ausgleich und Abwechslung, aber auch hier hat mir unsere Tagesstruktur geholfen. Dadurch ließ sich alles wunderbar vereinbaren, ohne dass jemand oder etwas zu kurz kam. Durch meine Freistellung konnte mein Mann nach unserer Quarantäne wieder arbeiten gehen und ich blieb mit den Kindern zu Hause. Später, als auch ich wieder arbeiten gehen musste, wurden beide Kinder notbetreut.
„Das Hilfsangebot war riesig. Familie, Freunde, Kollegen, Bekannte, alle haben ihre Hilfe angeboten.“
Erfahren Kinder Ausgrenzung, wenn sie aus der Quarantäne kommen?
Wir hatten das Glück, dass wir keinerlei Ausgrenzung erfahren haben. Im Gegenteil! Wir sind von Anfang sehr offen damit umgegangen, so dass viele davon wussten. Und das Hilfsangebot war riesig. Familie, Freunde, Kollegen, Bekannte. Alle haben ihre Hilfe angeboten und immer gesagt: „Meldet euch, wenn ihr was braucht!". Auch unsere Kinder haben keinerlei Ausgrenzung zu spüren bekommen. Vielleicht lag es auch daran, dass die erste Quarantäne die gesamte Kindergartengruppe unseres Sohnes betraf. So waren fast alle Freunde ebenfalls betroffen. Und die meisten anderen Freunde arbeiten, genau wie mein Mann und ich, ebenfalls systemrelevant, meist im medizinischen Bereich. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass dies nicht die Regel ist.
Was können und sollten Eltern für sich tun?
Für uns war es sehr wichtig, uns als Eltern Auszeiten nehmen. Sowohl ich als auch mein Mann haben uns täglich mindestens eine halbe Stunde genommen. Sei es eine halbe Stunde Zeitung lesen und einen Kaffee trinken oder eine Runde Malen und Schreiben. Diese Zeit war wichtig zum Abschalten. Auch die Kinder durften das. Wenn unser Sohn mal seine Ruhe haben wollte, dann durfte er sich auch jederzeit zurückziehen.
Ihre wichtigste Erfahrung in dieser Zeit?
Es gibt für mich nicht die EINE wichtigste Erfahrung. Es gab viele Dinge, für uns als Familie wichtig waren. Die uns überwältigt haben. Das große Hilfsangebot zum Beispiel! Der Zusammenhalt und die Unterstützung! Die Erfahrung, dass uns diese gemeinsame Zeit noch näher zusammengebracht hat, uns zusammengeschweißt hat. Wir sehen aber auch viele Dinge jetzt gelassener, aus einer anderen Perspektive. Und natürlich die Erfahrung, dass ich „Kalli Krake in Karantäne" geschrieben und illustriert habe. Ich habe die Geschichte und die dazu gehörigen Bilder für meine Kinder gestaltet und geschrieben. Die Idee, es zu veröffentlichen, kam erst im Laufe der Zeit. Mein Sohn war so begeistert, dass er meinte „Mama, Kalli muss auch zu anderen Kindern und ihnen erklären, was das ist". Mein Mann unterstützte die Idee von Anfang, so dass Kalli Krake zu einem Familienprojekt wurde.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie und Kalli Krake!
Autorin Stephanie Leloup hat ihre Erfahrungen in der Quarantäne in einem Bilderbuch verarbeitet.