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Gesundheit

Neurodiversität: Wir sind alle verschieden

Hanka Meves-Fricke · 14.02.2025

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Neurodiversität bedeutet, dass die Gehirne aller Menschen unterschiedlich funktionieren. ©SewcreamStudio/AdobeStock

Neurodiversität bedeutet, dass die Gehirne aller Menschen unterschiedlich funktionieren. ©SewcreamStudio/AdobeStock

Neurodiversität ist für viele ein neuer Begriff. Bemüht man das Internet danach, findet man einiges, was einem schon bekannt ist, darunter ADHS, Ticstörungen und das Autismusspektrum. Hanka Meves-Fricke wollte mehr dazu erfahren und hat sich mit Prof. Dr. Stephan Bender vom Universitätsklinikum Köln unterhalten. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters.

KÄNGURU: Was verstehen wir unter Neurodiversität und was zählt dazu?

Prof. Dr. Stephan Bender: Autismusspektrum, Aufmerksamkeitsdefizit- sowie Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, sowie Ticstörungen gehören zu den bekannten neuronalen Entwicklungsstörungen oder Behinderungen. Doch Störung ist manchmal der falsche Begriff: Davon sprechen wir nur, wenn diese individuellen Leidensdruck produziert. Alles andere ist Diversität und Ausdruck davon, dass nicht alle Menschen gleich sind in Bezug auf Gehirn und Gefühle. Manches kann sogar eine Chance für besondere Begabungen sein. Neurodiversität betont diesen positiven Aspekt des Anders-Seins und muss von einer psychischen Störung, welche einen Leidensdruck mit sich bringt, abgegrenzt werden.

Wie sind diese voneinander zu unterscheiden?

Jede neuronale Entwicklungsstörung hat charakteristische Merkmale, die besonders stark ausgeprägt sein können mit fließenden Übergängen zur „normalen“ (mittleren) Ausprägung. Es gibt zum Beispiel Menschen, die eher sozial sind oder im Extremfall gar keinen eigenen Standpunkt vertreten können, und dann welche, die weniger auf andere reagieren und ihren eigenen Kopf haben. Im letzteren Fall in extremer Ausprägung kommt man ins Autismusspektrum, wobei das Merkmal, wie stark man sich an anderen orientiert und wie sehr man einen eigenen Kopf hat, in der Allgemeinbevölkerung fließend verteilt ist. Zwischen verschiedenen neuronalen Entwicklungsstörungen gibt es graduelle Übergänge. Autismusspektrum kann mit ADHS einhergehen zum Beispiel. Dies können wir durch genetische Forschung belegen.

Was raten Sie Eltern, wenn Sie den Verdacht auf Neurodiversität haben?

Sie sollten sich informieren, dazu ihre Erzieher:innen und Lehrer:innen fragen, mit ihrer:m Kinderärzt:in sprechen. Wenn sie mehrere Verdachtsmomente haben, sollten sie spezialisierte Angebote in Anspruch nehmen, wie die Kinder- und Jugendpsychiater:innen oder -psychotherapeut:innen.

Wer kann helfen, Neurodiversität von einer psychischen Störung zu unterscheiden?

Häufig kommen Kindertagesstätte und Grundschule auf die Eltern zu und sprechen von Auffälligkeiten. Schulsozialarbeiter:innen und Jugendamt können eine wichtige beratende Rolle spielen. Viele Eltern haben jedoch gerade vor letzterem Angst, weil sie eine unbegründete Sorge haben, dass ihnen ihr Kind weggenommen wird. Zugleich finden ihre Kinder keinen guten Zugang in ihre Gruppen, haben kaum Freunde, werden von andern gehänselt und leiden darunter.

Wie verläuft der Weg zur Diagnostik einer Störung?

Oft dauert es eine gewisse Zeit, ehe Eltern und Ärzt:innen erkennen, dass ein Kind nicht nur neurodivers ist, sondern eine behandlungsbedürftige Störung hat. Auf der einen Seite ist das gut, weil Kinder nicht sofort in eine Schublade abgelegt werden. Manchmal dauert es jedoch wirklich lange und kann dann schwieriger für die Therapie werden.

Wie ist der Weg von der Diagnose zur Therapie?

Wir empfehlen Eltern, mit ihrer:m Kinderärzt:in zu sprechen und wenn diese:r Auffälligkeiten bestätigt, ein Frühförderzentrum, ein Sozialpädagogisches Zentrum oder niedergelassene Kinderpsychotherapeut:innen oder Kinderpsychiater:innen aufzusuchen. Manche Eltern kommen mit ihrem Kind direkt zu uns in die Ambulanz einer Klinik. Viele Menschen mit Migrationshintergrund gehen so vor, weil sie dies aus ihren Herkunftsländern kennen. Und wenn niedergelassene Ärzt:innen an ihre Grenzen kommen, schicken sie Familien zu uns.

Aber es ist schwierig, einen Therapieplatz zu bekommen?

Das stimmt leider. Sowohl in den Kindertagesstätten, Schulen als auch in Kliniken haben wir einen Fachkräftemangel zu beklagen. Daher gibt es lange Wartezeiten. Außerdem reicht die Anzahl der geplanten Kapazitäten (Praxen, Klinikkapazitäten) nicht aus.

Was bieten Sie Familien in Ihrer Klinik an?

Wir haben multiprofessionell aufsuchende Teams, eine Tagesklinik sowie eine vollstationäre Betreuung. Multiprofessionell heißt, dass bei uns Ärzt:innen, psychiatrische Fachkräfte, Psychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen und Pfleger:innen zusammenarbeiten. Das betrifft auch die Begleitung von Familien nach der Behandlung. Insgesamt arbeiten bei uns circa 100 Fachkräfte und 60 Auszubildende.

Sie haben die Begleitung von Familien nach der Behandlung angesprochen. Was können wir uns darunter vorstellen?

Mit ihrer Neurodiversität entwickeln Kinder und Jugendliche häufig Ängste. Sie sind nicht gern in großen Gruppen, gehen nicht zur Schule. Über Einzelbeschulung, Klinikschule, Online-Schule stellen sich unsere Patient:innen ihren Ängsten. Bei manchen helfen Medikamente, andere sprechen neben den Therapien auf unsere Musik- und Kunstangebote an.

Sie lassen also die Familien nach der Entlassung nicht allein?

Die Familien können immer wieder auf uns zurückgreifen. Zudem gibt es die aufsuchende Behandlung, das heißt, dass Kolleg:innen von uns jeden Tag oder alle zwei bis drei Tage die Familien besuchen und schauen, wo Hilfe benötigt wird und wo es gut läuft.

Also ist es ein Erfolg für Sie, wenn Kinder und Jugendliche wieder regelmäßig die Schule besuchen?

Gerade durch Covid und die damit verbundene Krise und Schulschließungen wissen wir, dass Schule für Kinder und Jugendliche nicht nur als Lernort bedeutungsvoll ist, sondern auch als sozialer Ort, wo sie Freund:innen finden, Spaß haben. Das ist für unsere Patient:innen genauso wichtig wie für alle anderen Kinder und Jugendlichen.

Wie viele Kinder und Jugendliche besuchen nach der Klinik wieder regelmäßig eine Schule?

Circa zwei Drittel. Daneben gibt es natürlich auch andere Schulangebote wie Förderschulen oder Online-Schulen. Für uns sind jedoch die Präsenzschule oder eine Ausbildung oder ein Studium das Ziel, gerade weil Schule ein sozialer Ort ist.

Manche behaupten, dass ADHS oder Autismusspektrum Modeerkrankungen sind?

Früher hat man häufig gesagt: Damit musst du leben. Das sehen wir heute anders und wissen, dass Diagnose und damit verbundene Therapie den Menschen das Leben erleichtern können. Auf der anderen Seite müssen wir uns fragen, ob wir nicht mit weniger Kosten das gleiche Ergebnis wie andere Länder erreichen können. Das sehen wir im internationalen Vergleich. In der Mehrzahl der Fälle haben wir jedoch eine gute Früherkennung. Zugleich sollten Menschen nicht abhängig von der Therapie werden, sondern ermutigt werden, selbstständig zu leben.

Hat es nicht auch einen Zusammenhang damit, dass Eltern heute auf ihr Kind, in vielen Fällen Einzelkinder, konzentriert sind?

Wichtig ist, dass wir Eltern und vor allem Alleinerziehende stärken. Die vielen Krisen wie Covid und Kriege führen zu schlechter Stimmung und Depressionen. Wir sollten daher aufpassen, dass wir nicht alles pathologisieren, also nicht alles zu einer Krankheit oder Behinderung erklären, sondern Familien stärken, damit sie positiv mit der Verschiedenheit ihrer Kinder umgehen können.

Vielen Dank für das ausführliche Gespräch und weiterhin viel Erfolg in Ihrer Arbeit!

 

Offen für die Probleme der Familien

mittendrin e.V. ist ein Elternverein, der nach dem Peer-Prinzip arbeitet. Alle Mitarbeiter:innen sind behindert oder haben ein Kind mit Behinderung“, erklärt Andreas Huckschlag, verantwortlich für die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, kurz EUTB. „In der Hälfte meiner Arbeitszeit berate ich Familien, die ein Kind mit Autismusspektrum haben. Sie und besonders die vielen Alleinerziehenden haben einen besonderen Beratungsbedarf.“ Der Verein hat seinen Sitz an der Luxemburger Straße in Köln. Bei Gesprächen mit Kitas, Schulen oder Ämtern schaltet sich Andreas Huckschlag jedoch auch gern persönlich oder online ein, wenn dies für die Familien hilfreich und notwendig ist. mittendrin e.V. holt Familien bei ihren Problemen ab. Egal auf welche Schule das Kind geht, die Mitarbeitenden beraten ergebnisoffen. „Wichtig ist, dass Eltern von uns erfahren, welche Rechte sie haben. Den Nachteilsausgleich muss die Schule organisieren. Eltern können Einsicht in Schulakten nehmen und in Ruhe entscheiden, was für ihre Familie am besten ist“, ergänzt er. Der Verein berät zu Konflikten, in rechtlichen Fragen und zur Pflege, Behindertenausweis sowie anderen finanziellen Herausforderungen. Zu Rechtsfragen selbst berät er nicht. Auf der Website finden Interessierte Artikel mit praktischen Ratgebern für Familien sowie Erfahrungsberichte von Schulen zur positiven Umsetzung von Inklusion für alle Beteiligten. Dabei verfügen manche Gesamtschulen über besonders langjährige Erfahrungen im „Gemeinsamen Lernen“.