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Gesundheit

Macht stundenlanges Chatten kurzsichtig?

Janina Mogendorf · 24.04.2018

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Kinder verbringen immer mehr Zeit vor dem Bildschirm und werden kurzsichtig im wahrsten Sinne des Wortes. © criene/photocase.de

Kinder verbringen immer mehr Zeit vor dem Bildschirm und werden kurzsichtig im wahrsten Sinne des Wortes. © criene/photocase.de

Immer mehr Menschen sind kurzsichtig – darunter viele Kinder. Zurückführen lässt sich diese Entwicklung auch auf unseren Umgang mit Smartphone, Tablet und Computer. Da hilft nur eines: Rausgehen und in die Ferne schauen. Fachleute bestätigen, dass das die beste Vorbeugung gegen Kurzsichtigkeit ist.

Hör auf zu schielen, sonst bleibt das so stehen! Von zu viel fernsehen kriegst du viereckige Augen! Wenn du immer nur aufs Handy starrst, brauchst du bald eine Brille! Wer kennt diese Sätze nicht, hat sie seinen Kindern vielleicht sogar schon das ein oder andere Mal gesagt. Während die ersten beiden Aussagen ins Land der Mythen gehören, lohnt es sich, die dritte genauer anzuschauen. Kurzsichtigkeit, auch Myopie genannt, ist eine weit verbreitete Fehlsichtigkeit. Etwa ein Drittel aller Brillenträger in Deutschland leiden darunter. Sie haben Schwierigkeiten, Objekte in der Ferne scharf zu sehen. Auch Menschen, die keine Brille brauchen, werden das verschwommene Bild kennen: zum Beispiel nach einer langen Bahnfahrt mit dem Lieblingsroman vor der Nase. Da kann es schon mal schwierig werden, die Anzeigentafel am Bahngleis zu entziffern.

Fachleute sprechen hier von vorübergehender Kurzsichtigkeit. Sie entsteht, wenn wir bei schlechtem Licht lesen oder lange am PC sitzen. Um zu fokussieren, muss sich der Ziliarmuskel zusammenziehen. Durch die Anspannung wird das Auge müde. „Es ist wie verkrampft und es dauert, bis es sich wieder entspannt. Vor allem Menschen ab vierzig werden diese Erfahrung machen“, erklärt Ludger Wollring vom Berufsverband der Augenärzte Deutschlands.

Immer mehr Kurzsichtige

Echte Kurzsichtigkeit beginnt meist schon in der Schulzeit, bei Kindern tritt der Sehfehler häufig zwischen dem achten und fünfzehnten Lebensjahr auf. Sie schreitet vor allem in der Wachstumsphase immer weiter voran und ein einmal erreichter Dioptrienwert lässt sich nicht mehr verbessern. Je schlechter die Augen, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Netzhautablösung oder einer Folgeerkrankung wie Grauer oder Grüner Star.

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Kurzsichtigen angestiegen. Aktuelle Studien zeigen: Vor allem junge Menschen sind betroffen! Während 85 Prozent der 75-Jährigen noch mit Adleraugen in die Ferne schauen, braucht fast die Hälfte der 25-Jährigen eine Brille, um die Kirchturmuhr zu lesen. Schätzungen gehen davon aus, dass innerhalb der nächsten dreißig Jahre fast die Hälfte der Weltbevölkerung kurzsichtig sein wird.

Dabei sind vor allem gut gebildete Menschen betroffen, wie die Gutenberg-Gesundheitsstudie des Universitätsklinikums Mainz ergeben hat. Forscher untersuchten dazu über fünf Jahre hinweg mehr als 15.000 Personen. „Es kam heraus, dass Kurzsichtigkeit eng mit dem Bildungsabschluss verbunden ist“, erklärt Heike Elf-lein, Leiterin der Kinderophthalmologie an der Universitätsmedizin Mainz. Der Anteil der Kurzsichtigen beträgt nach neun Schuljahren 27 Prozent und nach 13 Schuljahren bereits 60 Prozent.

Kind mit Augenmessgerät © Alexis S/peopleimages.com/Adobe Stock

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Naharbeit in geschlossenen Räumen schadet

Das heißt also Bücherwurm gleich Brillenschlange? Ganz so eindeutig ist es nicht, erklärt Augenarzt Wollring: „Die Erforschung der Kurzsichtigkeit und ihrer Ursachen steckt noch mitten im Prozess. Wir haben es mit vielen Faktoren zu tun.“ Neben genetischen Ursachen oder Augenkrankheiten, die zur Fehlsichtigkeit führen, kristallisiere sich jedoch in der Tat immer mehr die Naharbeit heraus. Wer über drei Stunden auf Objekte schaue, die weniger als dreißig Zentimeter von den Augen entfernt sind, riskiere es, dauerhaft kurzsichtig zu werden.

Kinder und Jugendliche beugen sich beim Chatten, Surfen oder Lernen gerne über Displays und Hefte – vor allem, wenn das Auge schon schlechter sieht. Deshalb ist es wichtig, Vorsorgetermine beim Augenarzt wahrzunehmen. Grundsätzlich schadet es dem Auge nicht, wenn die Brille verschmäht wird, sind sich Wollring und Elflein einig. Wenn es jedoch dazu führt, dass der Nachwuchs alles sehr nah ans Auge heranholt, wird es die Kurzsichtigkeit weiter fördern.

Ein weiterer Faktor, der Kurzsichtigkeit begünstigen soll, ist der lange Aufenthalt in geschlossenen Räumen. „Helles Tageslicht hemmt das Längenwachstum des Auges und erhält damit die klare Sicht“, erklärt Elflein. Ein Grund ist die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin, das von der Netzhaut freigesetzt wird, je mehr Licht auf das Auge trifft. Wer also lieber in der Stube hockt, als sich an der frischen Luft zu bewegen, wird demnach eher eine Brille brauchen als der agile Outdoor-Fan.

Pausen einlegen und ab nach draußen

Noch viel stärker als in Europa ist der Effekt in Teilen Asiens zu beobachten. „Dort ist die Zahl der Kurzsichtigen extrem angestiegen“, erklärt Wollring. In einigen Ländern tragen 90 Prozent der Studenten eine Brille. Drei Faktoren spielen dabei eine Rolle: Die Kinder in Südkorea und China beginnen schon sehr früh mit dem Lernen, also mit Naharbeit. Zudem nutzen die Menschen in diesen Ländern noch viel exzessiver Unterhaltungselektronik als bei uns. Und nicht zuletzt sind Kinder und junge Menschen in diesen Regionen wesentlich seltener draußen.

Statt nach der Schule Computer zu spielen oder im Dauerchat zu versinken, sollten Kinder und Jugendliche also an die frische Luft gehen. „Studien empfehlen zwei Stunden Bewegung unter freiem Himmel“, sagt Elflein. Kindern das Handy oder andere mobile Endgeräte zu verbieten, ist dagegen kaum realistisch und auch nicht zielführend. Familien können jedoch die Regel aufstellen, dass nach einer halben Stunde am Gerät erst einmal eine Pause eingelegt wird. Am besten gehen die Eltern selbst mit gutem Beispiel voran.

Kann man nicht eine Pille gegen Kurzsichtigkeit finden? „Das würde die Pharmaindustrie in Deutschland sicher sehr gerne. Schließlich hätte sie allein mit Asien einen riesigen Markt“, schmunzelt Wollring. Es habe früher Medikamente gegeben, die aber wegen Unwirksamkeit vom Markt genommen wurden. Trotzdem können Eltern nun wieder hoffen. Augenheilkundler in Singapore haben in einer Studie herausgefunden, dass Kurzsichtigkeit bei Kindern durch den Wirkstoff Atropin langsamer voranschreitet.

Kind mit Brille © Pixel-Shot/Adobe Stock

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Hoffnung auf das Gift der Tollkirsche

Hochverdünntes Atropin, das Gift der Tollkirsche, wirkt sich auf das Längenwachstum des Auges aus. In der Studie behandelten Ärzte 400 kurzsichtige Kinder zwischen sechs bis zwölf über zwei Jahre hinweg mit Augentropfen. Das Ergebnis: Die 0,01 Prozent verdünnte Dosis konnte das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit um 80 Prozent verzögern. Die Idee, das Auge mit Atropin zu behandeln, ist nicht neu. Bereits im 19. Jahrhundert setzte der Augenarzt Hermann Cohn den Wirkstoff bei Kindern ein. Allerdings war so eine geringe Dosierung wie heute nicht möglich, so dass es zu Nebenwirkungen wie Lichtempfindlichkeit kam.

Da es bisher nur in Asien aktuelle Studien zu Atropin gibt, ist das Medikament bisher auch nur dort zugelassen. In Deutschland zahlt es die Kasse nicht. Das heißt, Eltern müssen die Therapie privat finanzieren und die Risiken selbst tragen. Das wissenschaftliche Interesse an dem altbekannten Wirkstoff ist jedoch auch hierzulande geweckt. So behandelte das Universitätsklinikum Freiburg bereits kurzsichtige Grundschüler mit Atropin-Tropfen. Nebenwirkungen traten nicht auf.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Kurzsichtigkeit ist auf dem Vormarsch. Vor allem die junge Generation ist betroffen und auch die Zahl der kurzsichtigen Kinder im Grundschulalter nimmt zu. Bisher gibt es keine sicheren Erkenntnisse zu den Ursachen. Übermäßiges Naharbeiten und damit auch das Chatten oder Surfen scheinen jedoch die Kurzsichtigkeit zu fördern. Tageslicht soll dagegen bei Kindern das Längenwachstum der Augen hemmen und vor Kurzsichtigkeit schützen. Also regelmäßig Chatpausen einlegen und raus an die frische Luft.

Ist mein Kind kurzsichtig? Schnelltest für Eltern

  • Lassen Sie Ihr Kind aus einigen Metern Entfernung Straßennamen und Hausnummern lesen.
  • Fordern Sie ihr Kind dazu auf, die Vögel am Himmel zu zählen.
  • Beobachten Sie Ihr Kind beim Ballspiel: Kurzsichtige Kinder greifen öfter daneben, da sie den Ball aus der Ferne schlecht erkennen können und deshalb falsch einschätzen, wann er bei ihnen ankommt.

Die Zahlen, die Fakten

  • Jedes zehnte Kind in Deutschland kann nicht richtig sehen.
  • 60 Prozent der Sehschwächen von Kindern bleiben zu lange unerkannt.
  • Mehr als ein Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland sind kurzsichtig.
  • Ein um 30 Prozent höheres Risiko für Kurzsichtigkeit haben Kinder, die weniger als eine Stunde täglich draußen verbringen, gegenüber Kindern, die mehr als zwei Stunden im Freien sind.
  • Ab einem Alter von sechs Jahren entwickelt sich die sogenannte Schulkurzsichtigkeit (Schulmyopie).
  • Fast jeder zehnte Grundschüler trägt eine Brille.
  • Ein Viertel aller Schüler nehmen fehlsichtig ohne Sehhilfe am Schulsport teil.

Quelle: Kuratorium Gutes Sehen