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Gesundheit

Fluorid für Kinderzähne

Anja Janßen · 19.09.2017

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StockPhoto.com © Dominik-Pabis

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Sollen Kinder fluoridierte Kinderzahnpasta nutzen oder lieber Fluoridtabletten einnehmen? Über diese Frage streiten sich Kinder- und Zahnärzte in Deutschland. Außer in Mönchengladbach. Dort haben sich Ärzte erstmals geeinigt.

Neulich kam es wieder auf in der Kaffeerunde – das Thema Fluorid. Kaum purzelte das Wort zwischen halb geleerte Kaffeetassen und verschüttete Apfelschorlen auf den Tisch, folgte auch schon genervtes Aufstöhnen. Denn ähnlich wie das Thema Impfen scheint Fluorid eine Endlosdiskussion zu provozieren. Fluorid ja oder nein? Und wenn ja, wie? Das große Problem: Fachärzte sind sich in Deutschland nicht einig und Eltern stecken mittendrin. Nur in Mönchengladbach bekommen sie eine klare Empfehlung an die Hand. Aber fangen wir doch von vorne an: im Jahr 1991.

Denn damals wurde in der Bundesrepublik Speisesalz mit Fluoridzusätzen zugelassen, weil die Deutschen davon deutlich weniger zu sich nahmen, als für gesundheitsförderlich erachtet wurde. Fluoride – nicht zu verwechseln mit dem hochgiftigen Gas Fluor – sind Spurenelemente, die sich in geringen Mengen in allen Lebensmitteln, im Trinkwasser und sogar in unseren Zähnen und Knochen wiederfinden. Lebensnotwendig ist Fluorid nicht, aber die positive Wirkung auf unsere Zähne ist unumstritten, sagt das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV). Weltweit wird das Spurenelement deshalb zur Kariesprophylaxe angewandt – und das mit nachweislichem Erfolg. Ein Zuviel an Fluorid kann laut BgVV jedoch zum Gesundheitsrisiko werden.

Dentalfluorose: eine Folge von Überdosierungen

Folgen einer Überdosierung sind beispielsweise weiße Schmelzflecken auf den bleibenden Zähnen, „Dentalfluorose“ genannt. Diese können entstehen, wenn Kinder in den ersten Lebensmonaten und –jahren über einen längeren Zeitraum mehr als 0,1 Milligramm Fluorid pro Kilogramm Körpergewicht am Tag zu sich nehmen. Zum Vergleich: Die Gesamtaufnahme von Fluorid aus Nahrung und Trinkwasser in Deutschland beträgt bei einem Erwachsenen etwa 0,4 bis 1,5 Milligramm pro Tag. Extremfälle zeigen, was Fluorid bewirken kann, wenn es in rauen Mengen konsumiert wird: Knochenbrüchigkeit und Gelenkveränderungen, wenn ein Mensch über Jahrzehnte zehn bis 25 Milligramm Fluorid pro Tag aufnimmt, oder Nierenschäden, wenn über mehrere Monate 300 bis 600 Milligramm täglich konsumiert werden.

Daneben sieht sich Fluorid dem Verdacht ausgesetzt, Chromosomenveränderungen, Krebs und andere Krankheiten zu bewirken. „Diese Warnungen beruhen darauf, dass Fluorid in hohen Dosen Zellen schädigen kann, berücksichtigen aber nicht den Dosiseffekt. Alle diese behaupteten Nebenwirkungen haben sich als unwahr erwiesen“, sagt das BgVV und hat Tagesdosen für Kinder, Jugendliche sowie Erwachsene festgelegt, die als unbedenklich gelten. So sollte zum Beispiel ein Säugling im Alter von null bis vier Monaten nicht mehr als 0,25 Milligramm Fluorid pro Tag zu sich nehmen und ein Kind im Alter von vier bis sieben Jahren nicht mehr als 1,1 Milligramm. Diese Tagesdosis schließt alle möglichen Quellen ein, also auch Lebensmittel und Trinkwasser. In Letzterem ist der natürliche Gehalt von Fluorid so gering, dass laut Bundesinstitut für Risikobewertung die Gefahr einer Überdosierung alleine über Trinkwasser nicht besteht.

Was jedoch deutlich höhere Konzentrationen enthalten kann, sind abgefüllte Mineralwässer. Ab 1,5 Milligramm Fluorid pro Liter muss eine Flasche als „fluoridhaltig“ gekennzeichnet werden. Nur Mineralwasser, das unter 0,7 Milligramm Fluorid pro Liter enthält, darf als „geeignet für die Zubereitung von Säuglingsnahrung“ gekennzeichnet sein. Bei rund 70 Prozent der Mineralwässer sucht der Verbraucher jedoch vergeblich nach Angaben zum Fluoridgehalt. Lebensmittel sind in Deutschland – bis auf Speisesalz – nicht künstlich mit Fluorid angereichert. Um die tägliche Dosis des Spurenelements aufzunehmen, die Karies nachweislich vorbeugt, muss also nachgeholfen werden. Was empfiehlt die Medizin?

Der ewige Streit zwischen Kinder- und Zahnärzten

Die Fachgesellschaften der Zahnärzte raten zu fluoridierter Zahnpasta ab dem ersten Zahn. Die Berufsverbände der Kinder- und Jugendmedizin hingegen plädieren für Fluoridtabletten ab dem ersten Lebenshalbjahr. In jedem Fall sollte eine ärztliche Beratung erfolgen, um Überdosierungen zu vermeiden. Auf eine gemeinsame Leitlinie konnten sich die Fachrichtungen bisher nicht einigen, was für Eltern in der Praxis zu einem Dilemma führt. Nur eines steht für beide Seiten fest: Die Kombination aus fluoridierter Zahnpasta und Fluoridtabletten birgt ein Gesundheitsrisiko.

Entscheiden sich Eltern für fluoridierte Zahnpasta, müssen sie darauf achten, dass das Kind die Zahnpasta ausspuckt und ausspült, weil sie nicht zum Verzehr geeignet ist. Doch einen gewissen Anteil der Zahnpasta verschlucken Kinder unter vier Jahren immer, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Außerdem sei die Wirksamkeit von Kinderzahnpasta nicht nachgewiesen, heißt es weiter in einer Stellungnahme. Zu einer solchen Studie wird es auch niemals kommen, weil sie eine Kontrollgruppe mit Kindern erfordert, die keine Kariesprophylaxe erhalten. Das würde keine Ethikkommission genehmigen.

Fluoridkristalle reparieren kleinen Zahnschäden

Wie genau Fluorid eigentlich wirkt, hat eine Forschergruppe um den Wissenschaftler Ögaard im Jahr 1990 ermittelt. Fluoride können dem Zahn nur in dem Moment helfen, in dem er „demineralisiert“, also Schmelzkristalle unter Säurewirkung aus dem Zahn herausgelöst werden und beginnende Karies einsetzt. Fluoridkristalle reparieren diese kleinen Schäden und können folglich nur lokal wirken. Sie müssen zum richtigen Zeitpunkt über eine bestimmte Verweildauer am Zahn selbst angewendet werden. Wer zu Fluoridtabletten greift, sollte sie somit schon ausgiebig lutschen, um etwas zu bewirken.

Die Tabletten wurden seit den Beobachtungen von Ögaard im Jahr 1990 weltweit kaum noch verordnet – außer in Deutschland. „Bewährt hat sich die Fluoridierung von Zahnpasten“, sagt Dr. Jürgen Zitzen, Vorsitzender der Zahnärzte Initiative Mönchengladbach (ZIM). Die ZIM bemühte sich um eine gemeinsame Linie mit den Kinderärzten und lud den Schweizer Fluorid-Experten Professor Dr. Thomas Attin zu einem Vortrag nach Mönchengladbach ein. Der Besuch des Direktors der Klinik für Präventiv-Zahnmedizin hat seine Wirkung nicht verfehlt: Kinder- und Zahnärzte haben sich in Mönchengladbach 2009 zur Initiative „ZIMkid“ zusammengeschlossen und sich damit auf eine gemeinsame Informationspolitik gegenüber Eltern geeinigt. Seither geben in ganz Mönchengladbach Kinderärzte und Geburtskliniken keine Fluoridtabletten mehr aus, stattdessen erhält jedes Baby im Alter von sechs bis sieben Monaten vom Kinderarzt den Zahnärztlichen Kinderpass der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein. Ab dem ersten Zahn verweist der Pädiater dann an den Zahnarzt, der bei jedem Kind eine Fluoridanamnese erhebt. Das bedeutet, dass der Zahnarzt alle Quellen ermittelt, aus denen das Kind Fluorid aufnimmt, und daraufhin eine Empfehlung abgibt. Und in der Regel ist das die fluoridierte Kinderzahnpasta.

Fluoridtabletten: nur im Einzelfall

„Fluoridtabletten verordne ich nur noch im Einzelfall“, so Dr. Zitzen. „Beispielsweise wenn ein deutlich erhöhtes Kariesrisiko besteht, dann aber zusätzlich zur fluoridierten Zahnpasta nach gründlicher Abwägung aller Risiken.“ Von der präventiven Gabe von Fluoridtabletten vor dem ersten Zahn – wie sie zum Teil in Kombination mit Vitamin D zur Rachitisprophylaxe gegeben wird – hält der Mediziner überhaupt nichts. „Durch die frühe Fluoridierung hat man keinerlei Wirkung, aber viele Nebenwirkungen, besonders die nicht mehr rückgängig zu machenden weißen Flecken auf den Zähnen“, stellt Zitzen fest. Von einem vollständigen Verzicht auf Fluorid zugunsten einer zahngesunden Ernährung rät der Zahnarzt ab. „Gesunde Ernährung ist das A und O, Fluorid der Sicherheitsgurt“, bekräftigt Zitzen. „Auch bei einer komplett zuckerfreien Ernährung besteht ein Kariesrisiko und der völlige Verzicht auf Fluorid ist deshalb meiner Ansicht nach nicht verantwortbar.“

Klare Worte in Mönchengladbach also für Eltern. Die Stadt gilt in Deutschland als einzige, in der sich Kinderärzte und Zahnärzte einigen konnten, während auf Bundesebene die Querelen zwischen den medizinischen Fachrichtungen andauern und Eltern weiterhin zwischen den Stühlen sitzen. Für ihr Engagement wurde die ZIM vor zwei Jahren mit dem „Wrigley-Prophylaxe-Sonderpreis“ ausgezeichnet. Das ortsansässige Gesundheitsamt bestätigt, dass sich die Mundgesundheit der unter Sechsjährigen deutlich verbessert hat. Eltern in Mönchengladbach dürften erleichtert sein, endlich fachübergreifend einen klaren ärztlichen Rat in Sachen Fluorid an die Hand zu bekommen – auch wenn ihnen die Entscheidung für das Ob und das Wie am Ende auch kein Arzt abnehmen kann.

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