Gesellschaft
„Die Pandemie zeigt: Wichtig ist gemeinsame Zeit“
Golrokh Esmaili · 18.05.2021
zurück zur ÜbersichtAngie Knauf ist Erzieherin.
Angie ist 47 Jahre alt, alleinerziehende Mutter dreier Kinder (16,21,22...und ja, alle noch zuhause wohnend :D ), seit 1998 Erzieherin und momentan in einer evangelischen, 4-gruppigen Kita mit insgesamt 80 Kindern, beschäftigt.
Golrokh Esmaili: Wie sieht es im Moment in eurer Einrichtung aus? Wieviel Prozent der Kinder kommen?
Angie Knauf: Zurzeit besuchen regelmäßig bis zu 18 Kinder unsere 20-köpfige Gruppe – man kann also nicht wirklich von einer Notbetreuung zu Zeiten einer Pandemie sprechen. Die Eltern können zwei, pro Woche von uns ausgeteilte, freiwillige Tests für ihre Kinder mitnehmen, welche allerdings nur bedingt angenommen werden, und wir Erzieherinnen dürfen viermal pro Woche Coronatests machen. Wir besitzen alle FFP2-Masken, die wir allerdings nur bei kurzem Austausch mit Kolleginnen und/oder Eltern tragen, da alle Kinder von unserer Mimik lesen und lernen.
Wie sah eure Arbeit im letzten Jahr aus und was kommt auf euch zu?
In den Anfängen der Pandemie 2020 sind wir in Notgruppen eingeteilt worden: Nur noch sogenannte systemrelevant arbeitende Eltern brachten ihre Sprösslinge in die Kita, wir Kolleginnen durften uns und die Kinder sich untereinander nicht mehr mischen. Kinder verloren ihre Freunde aus anderen Gruppen aus den Augen, mit denen sie normalerweise täglich spielten, und wir hatten unter uns Erzieherinnen keinen (wichtigen!) Austausch mehr.
In unserer Gruppe teilten meine Kollegin und ich uns zeitweise die Früh- und Spätdienste, gaben uns also mittags im Garten (wegen der möglichen Ansteckungsgefahr) nur die nötigsten Infos weiter und blieben dann – in der schlimmsten Phase – mit lediglich nur einem bis fünf Kindern allein. So sollte eine komplette Quarantäne vermieden werden, falls sich eine von uns ansteckt. Für die Kinder und uns war das eine seelische Herausforderung. Man kann jedoch im Nachhinein sagen, dass die Kinder diese intensive Betreuung meist genossen, wir uns aber hauptsächlich ziemlich allein, allein gelassen und verunsichert fühlten.
Im Lockdown und als die meisten Kitas geschlossen wurden, machten wir mit dieser Methode weiter und fuhren coronatechnisch sogar ziemlich gut damit. Wir blieben zum Glück körperlich gesund. Seelisch hinterließ das aber Spuren. „Alles macht dicht, die Bevölkerung schließt sich ein, aber wir machen weiter". Wir fühlten uns teilweise „geopfert" und wieder allein gelassen. Die Regierung drückte sich nicht mehr klar aus, überließ die meisten Entscheidungen den Eltern und/oder den Kitas, viele Fragen blieben einfach offen – so offen wie unsere Kita.
Diese Hochphase hielt aber nicht lange an: Systemrelevanz wurde auf mehr Jobs ausgeweitet, benachteiligte Familien und Kinder wurden einbezogen, wir arbeiteten wieder im Kleinteam in unseren jeweiligen Gruppen, stellten Alltagshelfer:innen ein, die uns und die Kinder bei allen, teilweise neuen Hygienemaßnahmen unterstützten, bekamen Masken gestellt und später dann einen Arzt zugeteilt, der uns Erzieher:innen einmal wöchentlich testete. Im ganzen Coronajahr war unsere Kita nur einmal komplett in zweiwöchiger Quarantäne.
Habt ihr Alternativen in eurer Arbeit angeboten?
Was soll ich sagen? Wir machten und machen weiter! Wir haben resigniert und uns gesagt: Wenn wir schon mitten drin stehen müssen, machen wir das Beste draus! Mit Herz und Humor gehen wir trotzdem unserer Arbeit nach. Und das ist uns bis jetzt gut gelungen. Die Kinder können ja am Wenigsten dafür und leiden schon genug unter der langen sozialen Distanz.
Wie erlebst du die Kinder nach einem Jahr Corona? Siehst du Veränderungen?
Uns ist aufgefallen, dass viele Kinder, die lange zuhause blieben, mit sehr großer Freude in die Kita zurückkehrten und einen unheimlich starken Rede- und Erzählungsdrang hatten. Teilweise hörten sie ihrem Gegenüber gar nicht mehr zu, Fragen blieben im Raum stehen, weil die Antworten gar nicht gehört, sondern darüber hinweg gesprochen bzw. geschrien wurde. Saßen wir zu Mehreren am Tisch, redeten alle Kinder gleichzeitig, steigerten sich in ihrer Lautstärke unermesslich und konnten dabei kaum mehr still sitzen. Regeln, die vorher bekannt waren, wurden missachtet, es wurde nicht mehr geteilt und aufeinander geachtet.
Erreicht ihr Kinder aus benachteiligten Familien? Macht ihr zum Beispiel Hausbesuche?
Unsere „benachteiligten Kinder" kommen auch regelmäßig und wir haben Stunden an Personal für 1:1-Betreuungen vergeben. Hausbesuche gibt es schon lange nicht mehr, aber wenn die Eltern den Wunsch nach Gesprächen haben – wir haben guten Kontakt zu einer „Hauspsychologin", die wir vermitteln. Praktisch war vieles wieder auf Werkseinstellung....Wir fingen neu an.
Langsam kehrt nun Ruhe und wieder geordnetes Chaos in unseren Gruppenalltag ein. Jedes Kind kommt zehn Stunden weniger die Woche, da hatte sich die Regierung mal klar für Kitas eingesetzt. Wir merken, wie gut das tut. Den Kindern, die nach einem vollen und bunten Kita-Tag früher nachhause dürfen...und uns. Denn auch wir haben so früher Selbst-, Familien- und Auszeit .
Hast du einen Wunsch an die Politik? Wie sähe dieser aus?
Wenn man uns fragt, könnte das so bleiben. Früher öffnen, früher schließen. Nicht nach hinten raus verlängern. Es wäre möglich. Die Pandemie zeigt: Wichtig ist gemeinsame Zeit.