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Familienleben

Wenn Eltern zu früh sterben: Sorgerecht, Vormundschaft und Testament

Janina Mogendorf/Ursula Katthöfer · 11.03.2024

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Vorsorge: Wo nichts geregelt ist, regelt das Gesetz. © bramgino/AdobeStock

Vorsorge: Wo nichts geregelt ist, regelt das Gesetz. © bramgino/AdobeStock

Für Kinder ist der Tod eines oder beider Elternteile nur die erste Katastrophe. Noch dramatischer wird es, wenn mehrere Erwachsene sich um das Sorgerecht streiten und kein Testament vorliegt. Argiris Balomatis, Anwalt für Familienrecht in Tübingen, erklärt, wie Eltern gut für ihre Kinder vorsorgen. Jörg Nittinger vom Diakonischen Werk Bonn erläutert drei besondere Sorgerechtsfälle nach einem Todesfall.

Es ist eine Situation, über die niemand gerne nachdenkt. Schon gar nicht mitten in der Familienphase. Der Alltag ist trubelig, Verschnaufpausen rar. Das Ende des Lebens scheint weit weg, während wir Essen kochen, Hausaufgaben nachschauen, die Kids zum Sport fahren, sie begleiten und versorgen. Natürlich möchten wir so lange wie möglich für sie da sein, als Ansprechpartner:innen und Sicherheitsnetz – egal, ob sie nun 8, 18 oder 48 Jahre alt sind. Aber was, wenn wir früher gehen müssen als gedacht?

Argiris Balomatis ist Anwalt für Familienrecht in Tübingen. Er berät Eltern zum Thema Vorsorge, Vormundschaft und Testament. Es sind meist Menschen zwischen 40 und 50 Jahren, die ihn aufsuchen. „Sie kommen, weil ihre eigenen Eltern in einem Alter sind, in dem das Thema in den Vordergrund rückt. Vielleicht steht eine Erbschaft an, vielleicht haben sie auch im Familien- oder Bekanntenkreis erlebt, dass es wegen eines Erbes drunter und drüber ging“, erklärt der Familienanwalt.

„Die meisten Ratsuchenden denken an eine weit entfernte Zukunft, in der sie als Hochbetagte von ihren Kindern beerbt werden“, sagt Balomatis und hat Verständnis: „Viele möchten sich in der Lebensmitte mit so einem Thema einfach nicht auseinandersetzen.“ Und doch macht es durchaus Sinn, seinen letzten Willen festzuhalten, solange die Kinder noch klein sind. Denn erben können sie im wahrsten Sinne von Anfang an – sogar schon vor der Geburt.

Das Erbe des Kindes verwalten

„Nun muss aber niemand in Panik verfallen, weil er noch kein Testament erstellt hat. Wo nichts geregelt ist, regelt das Gesetz. Niemand fällt da ins Bodenlose“, beruhigt der Rechtsberater. Verstirbt ein Elternteil, dann erbt bei Verheirateten der Partner eine Hälfte und die Kinder die andere. Bis zum 18. Lebensjahr der Kinder ist der verbliebene Elternteil automatisch für die Verwaltung ihres Erbes zuständig. „Der Gesetzgeber geht davon aus, dass er das im Sinne des Kindeswohls tut.“

Das bedeutet: Alle Entscheidungen werden zugunsten des Kindes getroffen und zwar so, wie es der oder die Verstorbene gewollt hätte. Wer die Vermögenssorge hat – in der Regel also Vater oder Mutter – ist dafür verantwortlich, dass das Erbe vernünftig und im Interesse des Kindes verwaltet wird. Dazu gehört zum Beispiel, geerbtes Geld anzulegen, das nicht unmittelbar gebraucht wird. Weitreichende Entscheidungen, wie der Verkauf von Immobilien, müssen durch das Familiengericht genehmigt werden.

Waren die Eltern zum Zeitpunkt des Todes getrennt oder geschieden, übernimmt der verbliebene Elternteil in der Regel das volle Sorgerecht und damit auch die Vermögenssorge. Im konkreten Fall heißt das: Vater oder Mutter verwalten nun das Erbe der Kinder und damit den Nachlass der Expartnerin oder des Expartners. Wer das nicht möchte, muss sie oder ihn bei der Trennung im Testament aktiv von der Vermögenssorge ausschließen und diese an eine andere Person übertragen.

Nicht immer führt ein Erbe zur Absicherung. Wurden Schulden angehäuft, sollten sie nicht bei den Kindern landen. „Deshalb müssen die Sorgeberechtigten das Erbe innerhalb von sechs Wochen für die Kinder ausschlagen“, so Balomatis. Um dabei alles richtig zu machen, ist eine Rechtsberatung sinnvoll, vor allem, wenn die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen unklar sind. Hat ein Kind Schulden geerbt, muss es bei Volljährigkeit innerhalb von drei Monaten eine Beschränkung der Erbenhaftung beim Nachlassgericht beantragen. „Dann haftet es nur mit seinem vorhandenen Vermögen und kann schuldenfrei ins Erwachsenenleben starten.“

Einen Vormund bestimmen

Wer sich mit Vorsorge befasst, möchte in der Regel nicht nur die finanziellen Dinge klären, sondern auch wissen, dass das Kind nach dem eigenen Tod gut aufgehoben ist. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein Kind alleine zurückbleibt, kann man im Testament einen Vormund bestimmen. Es ist übrigens nicht so, dass Pat:innen automatisch die Sorge für minderjährige Kinder tragen. „Das Patenamt hat einen rein moralischen religiösen Hintergrund“, macht Balomatis klar. Wünschen sich Eltern einen Paten oder eine andere geeignete Person als Vormund oder wollen jemanden bewusst ausschließen, sollten sie das in einem Testament festhalten.

„Liegt keine Verfügung der Eltern vor, verständigen sich Familiengericht und Jugendamt über einen möglichen Vormund. Zunächst wird dazu im engeren Familienkreis geschaut“, erklärt der Jurist. Gibt es Großeltern, nahe Verwandte oder volljährige, geschäftsfähige Geschwister, wird in der Regel jemand von ihnen bestellt. Ab 14 Jahren sind Kinder in die Entscheidung mit eingebunden. Ist da niemand, der die Vormundschaft übernehmen kann, wird ein professioneller Vormund vom Familiengericht bestimmt und die Kinder gegebenenfalls in einer Pflegestelle untergebracht.

Testament richtig schreiben und verwahren

Es ist kein Muss, aber empfehlenswert, sich beim Verfassen des letzten Willens beraten zu lassen, denn es gibt einiges zu beachten. So muss ein Testament entweder notariell beurkundet oder aber vollständig mit der Hand geschrieben werden und dennoch offiziell aussehen, um als Testament anerkannt zu werden. Von der Einleitung bis zur Unterschrift muss es lesbar und mit Ort und Datum versehen sein. Zudem gehören alle Punkte hinein, die dem Schreibenden – oder im Falle eines gemeinsamen Testamentes beiden – wichtig sind.

Zum Beispiel Namen der Erben samt Geburtsdatum und Anschrift, eine Vermögensaufstellung und besondere Wünsche oder Auflagen. Wichtig sind auch offizielle Formulierungen. Geht es um die Vormundschaft, schreibt man also nicht ‚Tante Lena soll sich um das Kind kümmern‘, sondern ‚Meine Schwester Lena Meier, geboren am ..., wohnhaft in ..., soll im Falle meines Todes die Vormundschaft für unseren Sohn überneh- men‘.

Damit das Testament nach dem Tod auffindbar ist, kann man es bei einem Anwalt oder einer Notarin hinterlegen. Auch Nachlassgerichte bewahren das Schriftstück für eine einmalige Gebühr von 75 Euro auf. Zusätzlich muss es im Zentralen Testamentsregister der Bundesnotarkammer erfasst werden, was nochmal 18 Euro kostet. Das zuständige Amtsgericht kann man über die Seite „gerichtsstand.net“ ermitteln und einen Antrag auf Hinterlegung stellen. Zum Termin muss man neben dem Testament auch Personalausweis und Geburtsurkunde mitbringen.

Mit Kindern über Vorsorgesprechen

Ob und wie ausführlich man mit einem Kind über Vorsorge spricht, hängt vom Alter ab und auch ein wenig vom Kind selbst. Bis zur Grundschule wird das Thema für die meisten zu abstrakt sein, um es überhaupt zu verstehen. Aber auch an ein Gespräch mit älteren Kindern sollten Eltern sensibel herangehen, um keine Ängste zu schüren. Dazu gehört eine liebevolle, kindgerechte Sprache, die das Thema Sicherheit, Schutz und Wohlbefinden in den Vordergrund rückt. Vielleicht kann man auch ein Kinderbuch oder ein passendes Hörspiel als Aufhänger nehmen.

Je älter die Kinder werden, desto eher entwickeln sie eigene Vorstellungen und Wünsche für die Zukunft. Hier können sich Eltern im Gespräch langsam in Richtung Vorsorge und Erbe vortasten und schauen, wie ihr Kind reagiert. Vielleicht hat es selbst schon einmal über das Thema nachgedacht und Fragen dazu. Dann kann es ihm sogar Sicherheit geben, wenn man diese unaufgeregt und behutsam bespricht und dabei herausstellt, was Vorsorge eigentlich bedeutet: Ich bin und bleibe an deiner Seite. (jm)

Drei besondere Sorgerechtsfälle

Jörg Nittinger gehört zu denjenigen, für die das Wohl des Kindes immer im Mittelpunkt steht. Er ist für das Diakonische Werk Bonn tätig und berät Familien in Trennung und Scheidung. In seiner langjährigen Berufspraxis ist es hin und wieder vorgekommen, dass der Tod eines Elternteils bewältigt werden musste. Für KÄNGURU kommentiert er drei Szenarien:

Fall 1: Leiblicher Vater und Lebensgefährte einer verstorbenen Mutter streiten ums Sorgerecht

Eine 42-jährige stirbt an einem Hirnschlag – von einem Moment zum anderen hinterlässt sie zwei Kinder im Alter von 11 und 14 Jahren. Sie war geschieden, teilte sich mit dem leiblichen Vater das Sorgerecht. Doch seit sieben Jahren lebten die Kinder bei ihr und ihrem Lebensgefährten. Es war ein harmonisches Familienleben, die Kinder kommen gut mit dem Partner ihrer Mutter klar. Sie möchten bei ihm bleiben. Doch der leibliche Vater fordert, dass die Kinder bei ihm aufwachsen. Er hat das alleinige Sorgerecht. Wessen Wille zählt?

In diesem Fall hat der Lebensgefährte keine Chance, die Kinder zu behalten. Rechtlich zählt er als Fremder. Das Elternrecht ist im Grundgesetz verankert, die Leiblichkeit ist entscheidend. Nur wenn das Kindeswohl gefährdet ist, kann der Lebensgefährte gegen den leiblichen Vater ankommen. Zum Beispiel, wenn der Vater drogenabhängig ist.

Selbst wenn der leibliche Vater nicht das Sorgerecht hat, wird er als erster gefragt, ob er sich um die Kinder kümmert. Allerdings ist eines der Kinder im oben genannten Fall bereits 14 Jahre alt. Ab 14 haben Kinder bei Gericht ein eigenes Antragsrecht und können sich einen Anwalt nehmen. Das Kind könnte einen Antrag gegen den Vater stellen.

Fall 2: Alleinerziehende Mutter verstirbt und hinterlässt Halbgeschwister

Eine Frau ist Mutter von zwei Kindern verschiedener Väter. Die Kinder sind vier und sechs Jahre alt. Sie ist krebskrank, ihr Leben ist nicht mehr zu retten. Sie nutzt die ihr verbleibende Zeit, um die Zukunft ihrer Kinder zu regeln. Einer der Väter will keinen Kontakt zu seinem Kind. Der andere könnte und möchte für sein Kind sorgen. Gleichzeitig hat sich die Schwester der Sterbenden bereit erklärt, beide Kinder zu nehmen. Es kommt zum Streit. Werden die Kinder auseinander gerissen?

Hier stellt sich zunächst die Frage, ob eine schwerkranke Frau körperlich und seelisch in der Lage ist, einen solchen Streit zu schlichten. Als Beratungsstelle können wir sie dabei unterstützen, gemeinsam mit einem Notar ein Testament und eine Vorsorgevollmacht für die Schwester aufzusetzen. Die Kinder würden gefragt, was sie sich wünschen. Je älter die Kinder sind, desto mehr zählt der Kindeswille. Denn Kindeswille und Kindeswohl stehen in engem Zusammenhang.

Wenn der leibliche Vater allerdings auf seinem Sorgerecht besteht, kann er die Vorsorgevollmacht der Schwester vor Gericht anfechten. Möglich ist, dass die Schwester damit die Auseinandersetzung erbt. Ein Familiengericht würde während des Verfahrens wahrscheinlich ein Sachverständigengutachten einfordern. Grundsätzlich nehmen die Gerichte den Familienzusammenhalt sehr ernst. Geschwister dürfen nicht auseinander gerissen werden.

Für Kinder sind solche Streitigkeiten sehr anstrengend. Unser Ziel ist daher immer, noch zu Lebzeiten der kranken Mutter eine vernünftige Lösung zu finden und ein Gerichtsverfahren zu vermeiden. Wir fragen, was wir tun können, um das Kind in seinem Wachstum und in seiner Entwicklung zu fördern.

Fall 3: Beide Elternteile versterben

Während die beiden Kinder im Kindergarten sind, verunglücken beide Eltern bei einem Autounfall tödlich. Die Kinder sind von einem Moment zum anderen Vollwaisen. Sie haben kaum Verwandte, denn ihre Eltern hatten keine Geschwister. Die Großeltern der Kinder leben nicht mehr oder sind pflegebedürftig. Doch die Familie ist wohlhabend. Beide Eltern haben eine Lebensversicherung abgeschlossen, die Wohnung ist schuldenfreies Eigentum. Müssen die Kinder dennoch ins Heim?

Dieser Fall ist sehr unwahrscheinlich. Erstens sind junge Eltern in der Regel nicht vermögend. Zweitens sind Kinder selten ganz allein auf der Welt. Es gibt fast immer Verwandtschaft.

Zurück zur Frage: Die Unterbringung in einem Heim oder bei Pflegeeltern ist immer der letzte Schritt. Jugendämter prüfen zuvor alle anderen Möglichkeiten. In diesem Fall würde ein Vormund bestellt oder das Jugendamt würde die Vormundschaft übernehmen. Dessen Aufgabe sind die Personensorge, die Vermögungssorge und die Vertretung vor Gericht. Es darf kein Geschäft zulasten des Vermögens der Kinder gemacht werden. Allerdings könnte das Vermögen dazu genutzt werden, die Kinder in ihrem eigenen Zuhause zu betreuen. (uk)

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