Familienleben
Phänomen Social Media
Anja Schimanke · 14.12.2018
zurück zur ÜbersichtDr. Amelie Duckwitz
KÄNGURUplus: Hallo Frau Dr. Duckwitz, ich gucke mir Videos von Bibi oder Dagi Bee an und denke: Wie kann man sich das nur anschauen …
Dr. Amelie Duckwitz: Ja, und das geht auch noch 20 Minuten so weiter. Auch, wenn es Eltern nicht fassen können: Für die Jugendlichen ist das interessant! Influencer bedienen Themen, die für Erwachsene sehr weit weg sind. Auch mit Snapchat können alle über 25 wenig anfangen und fragen sich: Was ist daran lustig, einen Regenbogen zu kotzen? Jugendliche haben andere Kommunikations- und Informationsbedürfnisse.
Was kommt am besten bei Jugendlichen an?
Der Unterhaltungsaspekt ist ganz weit oben – sie lieben Comedy-Formate und Tutorials. Dazu eignet sich YouTube als Medium, da man gut Dinge erzählen kann, die Jugendliche interessieren. Das ist auf Instagram schwieriger.
Früher las man Bravo, heute sieht man sich Videos oder Tutorials an?
Genau. Wenn ich mir vorstelle, dass es das zu meiner Zeit schon gegeben hätte … super, das ist doch genau das, was wir auch wollten. Außerdem: Wo finden Jugendliche heute etwas in dieser Richtung? Die klassischen Medien, das Fernsehen, gibt nichts mehr her. Auf YouTube können Jugendliche sehen, was sie wollen, und zwar wann, wo und solange sie wollen.
Und Eltern kriegen die Krise, weil ihr Kind ständig online ist.
(lacht) Das zieht sich durch die Mediengeschichte, dass Jugendlichen permanent vorgeworfen wird, zu viel Zeit mit Medien zu verbringen und dadurch negativ beeinflusst zu werden.
Und, ist das so?
Das Smartphone lenkt extrem von allem anderen ab. Eltern sind da häufig schlechte Vorbilder, da sie ihr Smartphone ebenso intensiv nutzen, das ist inkonsistent. Ich höre oft von Jugendlichen, dass ihre Eltern etwas verboten haben, ohne zu erklären, warum. Das ist meistens dann der Fall, wenn Eltern nicht genau wissen, womit sich ihr Kind beschäftigt, und sie nicht die Zeit haben, sich das in Ruhe anzusehen und einzuordnen.
Worüber sollten Eltern mit ihren Kindern sprechen und sie hinweisen?
Das Wichtigste ist, dass sich Eltern wirklich dafür interessieren, was ihr Kind im Web tut. Sich mal zusammen einen Beauty-Blogger oder Let’s Player ansehen, mitlachen, Fragen stellen, auch hinterfragen und darüber sprechen, statt eine negative Haltung einzunehmen und es als Quatsch zu deklarieren.
Es dreht sich viel um Mode, Beauty und Lifestyle. Gibt es auch Influencer für Politik und News?
Es gibt sie, aber sehr wenige wie „Jung und Naiv“ oder MrWissen2go, die von vielen Followern frequentiert werden, oder Datteltäter, ein politisch-komödiantisches Format. LeFloid wurde dadurch bekannt, dass er aktuelles Tagesgeschehen kommentiert hat.
Sind alle politischen Meinungsführer im Web harmlos?
Nein, unter anderem gibt es auch Salafisten, die sehr aktiv sind, und auch die rechte Szene macht sich das Phänomen zunutze und verbreitet mit typischen YouTube-Formaten und -Rubriken rechtes Gedankengut. Da präsentieren junge, sympathische Typen richtige Propagandavideos. Erschreckend.
Welche Gefahren gibt es außerdem?
Eltern sollten ihren Kindern klarmachen: Das Netz vergisst nichts! Es kann potenziell überall weiterverbreitet werden und auffindbar bleiben. Darum ist es wichtig, Jugendlichen bewusst zu machen: Wie viele private Informationen gebe ich von mir preis? Am besten schaut man sich zusammen die Privatsphäre-Einstellungen an. Wer kann die Bilder und Kommentare sehen, wo liegen die Daten und was könnte damit passieren? Und wie sieht das in zwei oder fünf Jahren aus? Der Tochter, dem Sohn sollte klar sein, dass man keine Nacktaufnahmen verschickt. Die größte Gefahr, wie ich finde, geht von Live-Streaming-Formaten aus, wo man sich vor eine Kamera setzt und etwas über sich erzählen kann. Das ist ein Einfallstor für Pädophile und es kommt leicht zu Situationen, die man so nicht gewollt hat. Ist etwas okay oder nicht? Das muss man schnell entscheiden. Nicht alle können das.
Viele Jugendliche glauben, dass ihre Fotos und Kommentare gelöscht werden.
Das ist falsch! Es wird nicht gelöscht, es bleibt für immer auf dem Server. Wenn Jugendlichen bewusst ist, was die Folgen sind, dann können sie selbst entscheiden, wie weit sie gehen wollen. Und diese Entscheidungen sind in der Regel sehr vernünftig. Es gibt Gefahren, ja, aber Eltern sollten das Phänomen vor allem respektieren und sich dafür interessieren und nicht unterschätzen, positiv wie negativ. Es gibt nicht nur Risiken, sondern auch sehr viele positive Effekte.
Zum Beispiel?
Heute kann jeder ohne große technische Vorkenntnisse Content erstellen. Das ist unglaublich spannend, auch um sich auszudrücken und kreativ zu sein. In der sozialen Arbeit mit Jugendlichen wird Social Media erfolgreich als Instrument eingesetzt, indem Jugendliche zum Beispiel Videos produzieren oder anders ihre Kreativität ausleben.
Danke für das Gespräch!
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