Familienleben
„Mannsein und Vaterschaft wird nach wie vor hart erzählt“
Nils Pickert · 12.09.2020
zurück zur ÜbersichtAls ich vor 15 Jahren zum ersten Mal Vater wurde, tanzte ich deshalb zuvor nicht nur über den Kudamm und lag mit meinem winzig kleinen Baby im Geburtsbett, während meine Lebenskomplizin dem medizinischen Personal bewies, dass sie eine Toilette benutzen konnte, um schnellstmöglich das Krankenhaus wieder verlassen zu können. Ich überlegte mir zum ersten Mal, was für ein Vater ich sein wollte. Die Referenzpunkte waren eher dürftig. Mitte der 00 Jahre waren Väterbücher noch nicht besonders populär und/oder grauenvoll und von den Freunden war ich der Erste, der Nachwuchs bekam. Übrig blieb der eigene Vater. Ein Horizont für die eigene Vaterschaft, auf den man früher oder später immer Kurs nimmt, ob nun bewusst oder ohne den blassesten Schimmer, wohin man steuert.
Also sah ich mir diesen ersten Mann in meinem Leben sehr genau an. Ein liebevoller, lustiger, kochender Vater, dem beim Karusselfahren niemals schlecht wurde und der mich auf seinen Schultern stundenlang tragen konnte, wenn es sein musste. Ein gelegentlich cholerischer Schreihals, der meine Geschwister und mich zornesrot durch die Wohnung prügelte, bis wir keinerlei Gegenwehr mehr aufbrachten. Keine Hände vor dem Gesicht, keine Widerworte. Nichts. Ich habe meinem Vater vertraut und mich zugleich nie auf ihn verlassen. Ich wusste, was er war, aber nicht wirklich wer er war. Und ich hatte als Kind niemals auch nur den leisesten Schimmer, was ihn antrieb und zu seinen Handlungen motivierte. Wofür er morgens aufstand. Was ihn tagsüber beschäftigte. Womit er sich an dunklen Abenden tröstete. Ich habe bewusst auf diesen Horizont zugehalten, weil ich nicht irgendwann in einer aufgepeitschten Situation dorthin und bis über den Rand meiner Welt gedrängt werden wollte. In Untiefen voller Gewalt, harscher Worte, Fluchtbewegungen und Ignoranz. Wo ich als Kind gewesen war, wollte ich als Vater nicht sein. Gleichzeitig gab es für mich so viel Zartheit und Liebe in meinem Vater, dass ich meine eigene Vaterschaft gerne genau so gestalten wollte. Nacheifern in dem, was mir gut getan hat. Ablehnen, was mich verletzt hat.
„Ich versuche, mit anderen in ernsthafte und ehrliche Gespräche darüber zu kommen, was Vaterschaft für sie und überhaupt bedeutet.“
Meine Güte, das war jetzt aber mal ein heftiger Einstieg für einen Text über Vaterschaft. Sehen Sie es mir nach: Ich habe im letzten Jahr ein ganzes Buch über die geschlechtergerechte Erziehung von Jungen geschrieben und mir im Laufe des Schreibprozesses viele der Angewohnheiten abtrainiert, wie Männer über sich, Vaterschaft, ihre Kinder und, ja, auch über ihre möglichen Gewalterfahrungen sprechen, beziehungsweise eben nicht sprechen. Ganz ehrlich: Mit 40 Jahren und vier Kindern bin ich zu alt und zu kindererprobt, um diese Spielchen noch mitzuspielen. Sie sind mühsam, sie langweilen mich und sie führen zu nichts. Stattdessen versuche ich mit anderen in ernsthafte und ehrliche Gespräche darüber zu kommen, was Vaterschaft für sie und überhaupt bedeutet. Wie sie gestaltet wird, wann sie ganz furchtbar und wann sie ziemlich großartig ist. Mit dem vorhersehbaren Ergebnis: Männer reden nicht gerne. Also lehne ich mich so weit wie möglich aus dem Fenster, erzähle von mir, gebe preis, markiere mein eigenes Scheitern und spreche immer wieder die Einladung aus, sich doch einfach daran anzuschließen. Manchmal funktioniert es, oft aber eben auch nicht. Denn die Rollenvorstellungen darüber, was einen Mann auszumachen hat, welche Themen er beschweigen sollte und was er wie wann zu fühlen hat, sitzen so tief, dass sie längst in Fleisch und Blut übergegangen sind. Und das, was Vaterschaft bedeutet, erschöpft sich leider auch in angeblich so aufgeklärten, emanzipierten Zeiten in 2 Monaten Elternzeit, in sich nicht trauen, in drüber reden, statt Verantwortung für Kümmern, Pflegen und Haushalt zu übernehmen. In ihr am Wochenende die Kinder abnehmen, damit sie sich auch mal mit ihren Freundinnen treffen kann. Wie so eine Aushilfskraft im eigenen Leben. Gleichzeitig kriegen wir Männer so langsam aber sicher mit, dass da noch sehr viel mehr hinter stecken muss. Das hat nicht zuletzt auch mit dem allmählichen Zusammenbruch unserer sicher geglaubten Welt zu tun. Die Zeiten sind kompliziert, Jobs prekär, die Renten alles andere als sicher und wenn die Kindesmutter inmitten der Coronapandemie weiterhin ihrem Job nachgehen kann, während Mann Zuhause sitzt und nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll, dann wäre es doch mehr als nützlich, wenn die Aufgabenverteilung nicht an das Geschlecht gekoppelt wäre. Wenn Mutti sich nicht immer automatisch darum kümmert, sondern im Zweifelsfall eben einfach derjenige, der vor Ort ist und als Vater eigentlich genauso kompetent sein sollte.
„Die Frage ist, was all den Jungen und Männern denn fehlt, um nicht immer Härte, Durchsetzungskraft und Unverwüstlichkeit performen zu müssen.“
Aber es ist schwierig. Mannsein und Vaterschaft wird nach wie vor hart erzählt. Männer haben kaum bis gar keine zärtlichen Helden, keine Möglichkeiten sich aufzuweichen und ihre Identität spielerisch zu erfahren. Da können wir uns als Gesellschaft noch so aufgeklärt geben und kleine Jungen im Kindergarten mal ausnahmsweise mit Puppen spielen lassen: Spätestens in der Grundschule muss es dann vorbei sein mit dem trostbedürftigen, verschönerungsinteressierten, schwärmerischen Glitzerjungen, der all seinen Mut zusammennehmen muss, um eine Katze zu streicheln und am liebsten den ganzen Tag seine Puppenfamilie versorgt. Das kommt der Ernst des Lebens. Das Problem ist, dass wir Ernst ziemlich beschissen aussehen lassen. Jungen und Männer geben sich nicht etwa abgebrüht und beinhart, weil ihnen etwas an Mitgefühl oder Nähebedürfnis fehlt, sondern weil wir ihnen etwas wegnehmen. Weil sie so sein müssen, um als Jungen und Männer zu gelten. Und nicht etwa wie ich in dem Einstieg zu diesem Text. Nicht angreifbar, nicht angefasst, nicht verwundet, verletzt, berührt. Die Frage ist, was all den Jungen und Männern denn fehlt, um nicht immer Härte, Durchsetzungskraft und Unverwüstlichkeit performen zu müssen. Das sind zum einen besser erzählte Männerrollen und Vaterfiguren. Wie einseitig und flach die für gewöhnlich daherkommen, fällt besonders in den rar gesäten Kontrasten auf.
„Väter werden häufig abwesend, übergriffig oder inkompetent und überfordert dargestellt werden, aber kaum jemals wirklich in sich und ihrer Familie ruhend, angekommen, aufgehoben, liebend und geliebt.“
Für das Online-Magazin Filmlöwin durfte ich vor kurzem den Film Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess rezensieren. Ich kann Ihnen nur sehr ans Herz legen, sich ihn anzuschauen. Eigentlich ist es nur eine kleine Geschichte nach einem gleichnamigen Kinderbuch über den zehnjährigen Sam. Einen Jungen, der mit Verlustängsten kämpft und auf der sommerlichen Insel Texel Tess kennenlernt, die gerade dabei ist, ihren unbekannten Vater mittels einen gefälschten Preisausschreibens in das Ferienhaus ihrer Mutter zu locken. Tatsächlich aber ist es eine große, sehr große Geschichte über Väter und Männerrollen, über Frauen und Gleichberechtigung. Und zwar ohne anstrengenden Theorieteil. Wenn Sie Sams Vater 84 Minuten dabei zuschauen, wie er sich um seine beiden Jungen kümmert, seine migränegeplagte Frau liebt und ihr nicht etwa in den Rücken fällt, tröstet, sich zum Affen macht, kocht, erzieht, Pläne schmiedet, dann wird Ihnen unweigerlich auffallen, wie wenig gelingende Erzählungen es über Männer und insbesondere Väter gibt. Dass Männer in Filmen und Büchern immer einen Auftrag haben, ständig irgendwo hin müssen, weil „einer den Job ja machen muss“, aber niemals wirklich da sind. Dass Väter häufig abwesend, übergriffig oder inkompetent und überfordert dargestellt werden, aber kaum jemals wirklich in sich und ihrer Familie ruhend, angekommen, aufgehoben, liebend und geliebt. Lange Zeit waren das alles irrelevante Nebensächlichkeiten.
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Aber wie gesagt: Allmählich ändert sich was. Und deshalb braucht es auch neue Väter. Nein, nicht das, was Sie und ich noch als neue Väter präsentiert bekommen haben. Also Männer, die dafür abgefeiert werden, dass sie eine Windel wechseln können, sich mal liebevoll mit ihrem Kind beschäftigen und nicht zusammenbrechen, wenn die Partnerin für 2 Tage auf Geschäftsreise ist. Es braucht Männer, die das mit großer Selbstverständlichkeit und Authentizität machen, weil es zu ihnen gehört und sie wissen, wie sehr es sich lohnt. Weil sie von ihren Kinder nahbar, verlässlich und liebevoll wahrgenommen werden wollen und zugleich eine grenzenlose Neugier darauf haben, wer und wie ihre Kinder sind. Weil sie begriffen haben, dass man auf dem Sterbebett nicht etwa bedauert, dass man nicht noch mehr Überstunden geschoben hat, sondern sich nur an den guten Momenten und den liebevollen Menschen festhalten kann.
„Ein wirklich guter Vater zu sein, wird einem weder geschenkt noch leicht gemacht.“
Der Weg zu diesen Männern ist kein leichter. Noch hören viele nicht zu, wenn man über Dinge spricht, die sie zutiefst betreffen müssten. Noch werden sie zu oft dafür belohnt, nicht auf ihre Gesundheit zu achten, 110 Prozent zu geben, ihre Begehrlichkeiten wichtiger zu nehmen als ihre Bedürfnisse und den harten Kerl zu markieren. Hinzu kommt, dass sie für die kleinsten Anzeichen, etwas verändern zu wollen, abgestraft werden. Oder was glauben Sie, was passiert, wenn Männer in den Chefetagen und Personalbüros landauf, landab sagen, dass sie gerne mehr Elternzeit nehmen wollen? Wenn sie klarstellen, dass sie nicht bereit sind, sich immer und überall für ihre Karriere zur Verfügung zu halten? Dann ist schnell Schluss mit Familienfreundlichkeit und „wir sind ein modernes, flexibles Unternehmen“. Ein wirklich guter Vater zu sein, wird einem weder geschenkt noch leicht gemacht. Und gerade weil alles so kompliziert scheint, ist es wichtig, immer wieder bei sich anzufangen, den Horizont des eigenen Erlebens von Vaterschaft genau in den Blick zu nehmen, und wenn nötig auch unter stürmischen Bedingungen abzufahren: Wie war mein Vater, was hat ihn für mich ausgemacht, was mochte ich, was fand ich furchtbar? Was hat mir gut getan und was mich verletzt? Wie wäre ich auch gerne und wie auf gar keinen Fall?
Als meine Lebenskomplizin und ich vor 15 Jahren unser winzig kleines Baby aus dem Krankenhaus mit nach Hause nahmen, in unserem Bett zwischen uns legten und ihm beim Atmen und den 1001 Schlafgrimassen zuzuschauen, die Babys so machen, wusste ich noch nicht viel über diese Väterhorizonte. Ich hatte nur sehr viel Liebe für Mutter und Kind und einen ungefähren Kompass, der mir später dabei half, mich auch in den eher unerfreulichen Untiefen meiner Vaterschaft zurechtzufinden. Manchmal musste ich ihn nachjustieren. Ein paar Mal war ich ziemlich nah am Abgrund. Aber den Norden, dieses Gefühl, dass ich diese Kinder lieben kann und werde, solange Atem in mir ist, den hatte ich immer.
Nils Pickert ist Autor des Buches „Prinzessinnenjungs. Wie wir unsere Söhne aus der Geschlechterfalle befreien„ und schreibt für Pinkstinks. Pinkstinks ist eine Protest- und Bildungsorganisation gegen Sexismus und Homofeindlichkeit.