Familienleben
Kindgerechte Mobilität: Verkehrswende in der Stadt
Thea Wittmann · 14.08.2024
zurück zur ÜbersichtMobil mit dem Rad in der Stadt unterwegs – das sollte auch für Kinder gefahrlos möglich sein. © Irina Schmidt/Adobe Stock
Bei welchen Projekten hat die angestrebte Verkehrswende im Raum Köln und Bonn speziell die Kinder im Blick? Welche Vorhaben orientieren sich an den Bedürfnissen von Kindern? Darüber hat KÄNGURU mit Sara Klemm gesprochen, Referentin für Zielgruppenorientiertes Mobilitätsmanagement beim Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS). Sie berät und begleitet die Mitgliedskommunen des Zukunftsnetz Mobilität NRW im Hinblick auf die Entwicklung nachhaltiger Mobilitätsangebote.
KÄNGURU: Frau Klemm, wie werden sich Menschen zukünftig in Städten fortbewegen? Werden sie mehr zu Fuß gehen, hauptsächlich Fahrrad fahren, E-Scooter nutzen? Werden die Öffis automatisiert fahren? Können Sie uns einen kleinen Ausblick geben, wie die Mobilität der Zukunft im VRS-Gebiet aussehen könnte?
Sara Klemm: Wie wir uns in Zukunft bewegen, hängt stark davon ab, wie unsere Städte gestaltet sind und welche Angebote es gibt. In der Planung sagt man: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“. Wer sichere Rad- und Fußwege baut und verlässliche Bus- und Bahnverbindungen schafft, der sorgt dafür, dass sich mehr Menschen zu Fuß, mit dem Rad und mit dem öffentlichen Verkehr fortbewegen. Die Klimakrise erfordert so wenig Autoverkehr wie möglich, das weiß auch die Politik. Viele Kommunen haben sehr gute Ideen und setzen sie mutig um, obwohl Gesetze und bundespolitische Entscheidungen häufig wenig Spielraum lassen. Als Großstädte haben Köln und Bonn die besten Voraussetzungen, Alternativen zum Autoverkehr zu bieten und schaffen bereits viel Platz zum Gehen, Radfahren und Spielen.
Öffentlicher Raum ist wertvoll. Vor allem Kinder brauchen Platz und Sicherheit – gerade in der Stadt. Stattdessen gibt es eine hohe Verkehrsdichte, fehlende Zebrastreifen oder Ampeln, unübersichtliche Baustellen. Bürgersteige und Radwege lösen sich plötzlich auf und werden ohne Weiteres auf die Verkehrsstraße geleitet. Was muss passieren?
Der bekannte Architekt Jan Gehl sagt: „Je besser Kinder und ältere Menschen sich auf Straßen und Plätzen bewegen und aufhalten können, desto lebenswerter ist eine Stadt.“ Wir müssen also Räume schaffen, die dies auch ermöglichen. Deshalb ist es das Wichtigste, Kinder und Jugendliche aktiv in die Planung ihrer eigenen Umgebung einzubeziehen, zum Beispiel durch Streifzüge oder Planwerkstätten. Wir sprechen hier von kompetenzorientierter Verkehrsplanung. Nur so können die Bedürfnisse von Kindern identifiziert werden. Denn ihre Wahrnehmung von Geschwindigkeiten und Entfernungen ist anders als die von Erwachsenen, durch ihre Körpergröße stehen sie im Straßenverkehr vor ganz anderen Herausforderungen. Deshalb brauchen wir auch eine Anpassung der geltenden Gesetze.
Was tut sich da konkret?
Bundesweit haben sich bereits mehr als tausend Kommunen der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden“ angeschlossen, allein im Rheinland sind es über 40. Die Initiative setzt sich dafür ein, dass Kommunen Tempo 30 innerhalb von Ortschaften als Höchstgeschwindigkeit einrichten und sie damit ruhiger und sicherer machen können. Das ist gesetzlich bisher noch nicht möglich.
Was sind kindgerechte Aspekte der Mobilitätswende? Worauf müssen die Planenden achten, wenn es um Kinder geht?
Gerade jüngere Kinder handeln und bewegen sich sehr intuitiv. Wenn man ihnen beim freien Spielen zuschaut, lassen sich ganz neue Möglichkeiten erkennen, wie Orte für Kinder gestaltet sein müssen. Indem alle Akteure wie Kommunalverwaltung, Kommunalpolitik, Kinder, Schulen und Eltern zusammenkommen, lassen sich gemeinsame Strategien entwickeln, die allen Beteiligten gerecht werden. So entstehen sichere Räume, in denen sich Kinder bewegen können, ohne dass sich ihre Eltern sorgen. Schließlich wollen wir keine verkehrsgerechten Kinder, sondern eine kindgerechte Mobilität.
Welche Mobilitätsprojekte oder Vorhaben gibt es in Köln und Bonn, die konkret die Bedürfnisse von Kindern im Blick haben?
Viele unserer Kommunen im Rheinland sind schon sehr aktiv dabei, kinderfreundliche Räume zu schaffen. Besonders erfolgreich sind sie, wenn sie nicht nur einzelne Bausteine umsetzen, sondern viele Ansätze miteinander verknüpfen. Die Stadt Bonn entwickelt zum Beispiel gerade ein Konzept, wie Planungen für Kinder und Jugendliche in der Verwaltung besser ineinandergreifen können. So werden etwa Rad- und Fußwege oder Straßenübergänge kinderfreundlich gestaltet und Schulwegpläne erstellt, in denen die sicheren Routen erkennbar sind. Gleichzeitig lernen die Kinder in den Schulen, wie sie sich sicher fortbewegen und werden spielerisch motiviert, den Schulweg gemeinsam aktiv zurückzulegen. In Hennef wurde probeweise eine Straße für den Autoverkehr gesperrt, über die jeden Tag mehrere Tausend Schüler:innen in die umliegenden Schulen strömen. Der Versuch war so erfolgreich, dass die Straße nun dauerhaft zu einem großen Schulcampus umgestaltet wird, der von den Kindern und Jugendlichen als Spiel- und Aufenthaltsort genutzt werden kann. In Köln wurden vor mehreren Schulen Schulstraßen eingerichtet, die den Kindern morgens und nachmittags ermöglichen, die Schule sicher zu erreichen. Auch in Frechen wurden kürzlich zwei Schulstraßen von der Politik bewilligt. In Frechen und Hennef haben sich außerdem sogenannte „Bicibusse“, also Fahrradbusse, gebildet: Entlang einer festgelegten Route treffen sich Schüler:innen morgens auf ihren Fahrrädern, um gemeinsam zur Schule zu fahren. All diese Beispiele zeigen, dass es nicht nur viele Möglichkeiten gibt, die Bedarfe von Kindern zu berücksichtigen, sondern dass auch vielerorts schon einiges getan wird. Und das ist gut so! Denn die Möglichkeit, eigenständig mobil zu sein, macht nicht nur Spaß, sie fördert auch die körperliche und geistige Entwicklung, bildet neue Freundschaften und sorgt für einen entspannten Start in den Schultag.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Klemm!