Familienleben
Kindergeburtstag und Klischees
Kathrin Gecht · 01.06.2016
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Eine wilde Horde Jungs mit Plastiksäbeln, Federhüten und Augenklappen rast über die Wiese. Das Geschrei kehlig, kleinjungenhaft tief gestellt. Ein Gerangel zwischen dem Blonden mit dem Papagei auf der Schulter und dem Braunhaarigen mit dem Holzbein-Imitat. Ein lauter Ruf aus der Regieecke am Motto-Partytisch ertönt, Eltern plus Omi versuchen aus der Entfernung zu schlichten. Der Rest der Bande läuft weiter gellendlaut schreiend durch den mit Piratenwimpeln geschmückten Garten. „Alle Mann auf das Schiff“, ruft ein röhrendes Stimmchen, alle – bis auf die zwei Streithähne – schwingen sich auf das Baumhaus, das mit Mast, Segel und Fahnen ganz auf Piratenschiff getrimmt ist. Mats feiert hier gerade seinen sechsten Geburtstag.
Mats Eltern haben weder Kosten noch Mühen gescheut
Fragt man seine Eltern, ist Mats ein „typischer Junge“ mit „typischen Jungen-Interessen“. Schnell war klar, dass sein Geburtstag eine Piratenparty werden sollte – mit Verkleidung, Schiff und einem Kuchengelage ganz im Sinne der rauen Kerle auf See. Viel Organisation war hierfür nötig, aber Mats Eltern haben weder Kosten noch Mühen gescheut, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Die Mottobox für den Piratengeburtstag war im Netz schnell ausfindig gemacht. Mit Tisch- und Wanddeko, einem Piratenspiel, Goldtalern, Plastiksäbeln und Mitgebseln für die Gäste enthielt sie alles Nötige. „Die Mottobox war ein echter Gewinn“, sagt Mats Mutter Sabine. „Schon alleine die Einladungskarten kamen total gut an bei den Jungs.“ Mädchen findet man an diesem Nachmittag im Garten nicht. „Nee“ sagt Mats und verzieht ein bisschen das Gesicht, „Mädchen feiern doch lieber Prinzessinnen-Geburtstag.“
Kein Kind will „untypisch” sein
„Mottogeburtstage verkaufen sich gut, aber sie sind ja zunächst eine Idee der Erwachsenen“, erklärt Almut Schnerring, Autorin des Buches „Die Rosa-Hellblau-Falle“, Radiojournalistin und dreifache Mutter. „Und wir dürfen nicht vergessen, dass viele Themen das jeweils andere Geschlecht ausgrenzen“, fügt sie hinzu. Ihrer Meinung nach lernen Kinder bereits vor Eintritt in den Kindergarten, dass Erwachsene die Piraten- und Abenteuerwelt den Jungs und den Prinzessinnen-Geburtstag den Mädchen zuordnen. „Und Kinder wollen zu der Gruppe, mit der sie sich identifizieren, dazugehören. Keines will ‚untypisch‘ sein“, beschreibt sie den Einfluss der erwachsenen Erwartungshaltung auf das kindliche Verhalten.
Gendermarketing der Spielwarenindustrie
In ihrem Buch hat sie sich, gemeinsam mit ihrem Mitautor Sascha Verlan, eingehend mit dem Klischee- und Geschlechterdenken rund um Mädchen und Jungen auseinandergesetzt. Ein wichtiger Bestandteil ist das sogenannte Gendermarketing. Das englische Wort Gender meint zu Deutsch die gesellschaftliche, soziale und kulturelle Geschlechterrolle, die von früh an erlernt ist und das Verhalten prägt. „Von allen Seiten wird Kindern suggeriert, Jungen und Mädchen seien ja so grundverschieden, hätten komplett andere Interessen und Fähigkeiten, passen also nicht so wirklich zusammen“, sagt Schnerring. Die Spielwarenindustrie könne auf diese Weise schlicht mehr Umsatz generieren. Ein weiterer Mehrwert für die Hersteller von Lillifee-Fahrrädern oder Spiderman-Gummistiefeln: Das Vererben an Geschwister oder Freunde des anderen Geschlechts werde erschwert, so Schnerring.
Jungen- oder Mädchengeburtstag?
Aber was hat das alles mit dem Thema Geburtstag zu tun? „Tatsächlich wird bei Kindergeburtstagen der Einfluss von Industrie und Marketing auf die Entwicklung unserer Kinder besonders deutlich“, erklärt Almut Schnerring. So würden diese Events heute mit der Schaffung künstlicher Unterschiede ökonomisch ausgeschlachtet. „Gab es früher einfach Kindergeburtstage, sind heute getrennte Mädchen- und Jungengeburtstage schon im Kindergartenalter verbreitet“, beschreibt sie die Situation. Die herstellerseitige Trennung in „typisch Mädchen“ und „typisch Junge“ hat sich ihrer Meinung nach in den letzten Jahren enorm verstärkt. Ein gutes Beispiel hierfür sei das Überraschungsei, das es inzwischen in einer Mädchen- und in einer Jungs-Variante gibt.
Es geht auch anders
Ein Garten im Kölner Norden an einem wolkenverhangenen Aprilsamstag: Nele, zweitjüngstes von insgesamt vier Kindern der Familie B. feiert hier gerade ihren fünften Geburtstag. Auf einem Trampolin tobt und kreischt sie mit zwei Mädchen und einem Jungen um die Wette. Auf der Wiese jagen ihr Bruder, weitere Jungs und ein Mädchen hinter einem Softball her. „Nele wollte erst nur Jungs einladen“, erzählt ihre Mutter Laura. „Sie hat sich gewünscht, dass wir eine Schnitzeljagd machen und das Fußballtor aufstellen“, berichtet sie von ihren Geburtstagsvorbereitungen. Währenddessen bringt Neles Tante ein Tablett mit einem riesigen Kuchen in Form einer Rakete in den Garten, begleitet von „Boahs“ und „Wows“ trägt sie ihn zum Tisch.
Familie B. hat zwei Töchter und zwei Söhne und schon diverse Kindergeburtstage gefeiert. Reine Jungen- und Mädchengeburtstage waren selten darunter. „Klar hat sich unsere große Tochter schon mal eine Verkleidungsparty gewünscht und der Große wollte unbedingt mit den Jungs und Mädels auf den Fußballplatz“, sagt Vater Jan, „aber wäre es umgekehrt gewesen, hätten wir es genauso gemacht.“
Emma aus Leverkusen feiert ihren sechsten Geburtstag nach „Disneys Eiskönigin“. Sechs Mädchen in Prinzessin-Elsa-Kleidern springen mit glühenden Wangen durch den großen Flur eines Leverkusener Einfamilienhauses. „Emma hat sich den Elsa-Geburtstag sehr gewünscht und ich war erst nicht so begeistert“, erzählt Caroline, Emmas Mutter. Wichtig war es ihr, selber kreativ zu werden und so wenig wie möglich auf Merchandise-Artikel zurückzugreifen – angefangen bei der Einladungskarte, die ihre Tochter mit der Eiskönigin bemalte und die Caroline für die Gäste kopierte und beschrieb.
Kompromisse finden
Auf der Tafel stehen Blaubeeren und gefrorene Erdbeeren, blaue Flaschen mit beschrifteten türkisfarbenen Bändern schmücken den Tisch. Alles ist auf die Eiswelt aus dem Märchen abgestimmt. Einzig die Teller, Becher und Servietten mit den Gesichtern der Eiskönigin-Figuren sind gekauft. „Für mich bestand der Kompromiss eines Elsa-Geburtstags darin, dass wir uns das allermeiste selber ausgedacht haben“, sagt Caroline. Die Mädchen spielen derweil „die Reise in den Eispalast“ oder basteln gemeinsam ihren eigenen Eiskönigin-Hut. Laut ihrer Mutter erfüllt Emma in keiner Hinsicht das Mädchen-Klischee. Sie ist wild und gar nicht rosa-like. „Aber beim Thema Eiskönigin hat sie das Fieber völlig gepackt und deshalb haben wir ihr den Wunsch auch gerne erfüllt“, berichtet Caroline.
Nicht jedes Klischee bedienen
„Das letzte, was ich befürworte, wäre Kindern einen solchen Wunsch komplett zu verbieten. Sie können ja am wenigsten für diese neue getrennte Warenwelt“, sagt hierzu Almut Schnerring. Man müsse aber auch nicht jedes Klischee bedienen. Ihrer Meinung nach kann und sollte man als Eltern seinen Einfluss geltend machen und sich auch mal für das Topfschlagen anstelle des Dolchkampfs entscheiden. Das Piratenfest könne beispielsweise zum Meeres- oder Unterwasser-Motto umgestaltet, die Prinzessinnen-Party zu einen Märchengeburtstag werden.
Gemeinsamkeiten statt Unterschiede
Zum neunten Geburtstag ihres Sohnes richtete Almut Schnerring einen Berufeparcour aus und bot unterschiedliche Stationen für die gemischte Kindertruppe an. So gab es vom Pizzabacken, über das Verkleiden, Schminken oder Bauen eine bunte Fülle an Möglichkeiten. Die Mitgebsel-Tüte konnten sich die Kinder an der Nähmaschine selber herstellen. Sie erinnert sich an die Abholszene, als einer der Jungs, der zuvor freudig eine pastellfarbenen Zuckerkette getragen hatte, von seinem Vater mit Blick auf diese hören musste, dass die ja nur etwas für Mädchen sei. Das zeige laut Schnerring, dass nicht nur der Einfluss von Medien und Kinderwarenindustrie ausschlaggebend ist. Ihrer Meinung nach reichen wir Erwachsenen die alten Rollenklischees weiter – in dem Glauben, sie längst überwunden zu haben. „Ich bin deshalb sehr dafür, die Unterschiede nicht noch mehr zu unterstützen und dafür die vielen Gemeinsamkeiten herauszufinden“, sagt sie.
Nele steht neben ihrem Papa Jan, der gerade die Würstchen auf dem Grill wendet. Er sieht zufrieden aus, die Kinder sind es auch. Erwartungsvoll sitzen sie am Tisch, die bunten Pappteller ungeduldig hin- und herschiebend. Die Limo schwappt einem Mädchen aus dem Becher, Laura verteilt eine Schüssel frischer Pommes. Nach diesem langen Nachmittag mit Springen, Ballschüssen, Schnitzeljagd, Raketenkuchenessen, viel Ausgelassenheit und manchem Gerangel sind sie alle sichtbar erledigt. Später werden die müden, aber glücklichen Kinder von ihren Eltern abgeholt. „War schön, dass du da warst“, ruft Nele noch einem Jungen zu, der mit seinem Papa bereits hinter dem Gartentor verschwunden ist.