Familienleben
Kinder, Eltern und Messenger-Apps
Inga Drews · 26.10.2020
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Bei der einfachen und praktischen Nutzung von Messenger-Apps gerät aber schnell mal in den Hintergrund, dass es dabei auch mögliche Risiken gibt, die vor allem Eltern Sorgen bereiten, zum Beispiel unerwünschte Kontakte oder Mobbing in Gruppen-Chats. Um Kinder und Jugendliche davor zu bewahren, rät Mediencoach Dr. Iren Schulz vom Medienratgeber „SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.“ zu Aufklärung und Begleitung und erklärt, wo für Eltern die Möglichkeiten und Grenzen liegen, um ihre Kinder im Umgang mit Messenger-Apps zu schützen.
KÄNGURU: Warum ist es wichtig, Kinder über den Umgang mit Messenger-Apps aufzuklären?
Dr. Iren Schulz: Messenger-Apps wie WhatsApp sind vor allem wegen zwei Stolpersteinen herausfordernd für Kinder: Erstens stellt sich immer die Frage von Datenschutz und Privatsphäre – das heißt, was passiert mit den hinterlegten persönlichen Daten der Kinder? Wo und wozu werden diese Daten gespeichert usw.? Es ist sehr schwer, das als Nutzer*in – auch als Eltern – zu durchschauen, nachzuvollziehen und sicherzustellen, dass die Daten eben geschützt sind. Und zweitens geht es um die Kommunikation mit und in diesen Apps und die Frage: Wie gehe ich mit den eigenen Daten und denen der anderen um? Was gehört nicht in so einen Chat (private Fotos und Videos)? Wie verhalte ich mich gegenüber anderen, vor allem in Gruppenchats? Wen hole ich zu Hilfe, wenn mir etwas komisch vorkommt? Wie gehe ich mit (beängstigenden) Kettenbriefen um? Diese und weitere Herausforderungen sind für Kinder sehr komplex und nicht einfach zu verstehen – und gerade deshalb ist die Aufklärung der Kinder und das Begleiten bei den ersten Schritten mit und in Messenger-Apps so wichtig.
Was würden Sie sagen, mit wie viel Jahren sind Kinder alt genug, um Messenger-Apps zu nutzen?
Das ist nicht so einfach zu beantworten, weil Kinder ja auch sehr unterschiedlich sind in Punkto kognitive Entwicklung und Reflexionsfähigkeit. Aber WhatsApp ist nicht umsonst ab 16 Jahren. Auch wenn das eher an der Realität vorbeizuweisen scheint, ist es doch ein wichtiger Hinweis, dass diese Messenger-Apps einige Ecken und Kanten für Heranwachsende haben. Je mehr Möglichkeiten eine App hat, privat und sicher zu kommunizieren, werbe- und einkaufsfrei ist und nicht in andere Netzwerke verweist, um so sicherer ist es auch für Kinder. Tatsächlich gibt es solche, extra für Kinder gestaltete Messenger-Apps eher nicht. Generell kann man sagen, dass Kinder in der Grundschule die Herausforderungen von Messenger-Apps noch nicht voll umfänglich durchschauen können und ab der weiterführenden Schule mit Begleitung, klaren Regeln und Gesprächen damit umgehen lernen können.
Über welche Aspekte und Risiken von Messenger-Apps sollten Eltern in jedem Fall mit ihren Kindern sprechen?
Das wichtigste Thema sind eigentlich die eigenen Daten und die der anderen. Was gebe ich preis und wie gehe ich mit anderen Menschen und dem, was sie preisgeben, um – also um so etwas wie Cybermobbing und Cybergrooming auszuschließen, um nicht auf Kettenbriefe oder Kaufangebote „hereinzufallen“. Und sicher ist auch das Thema Zeit und Kommunikationsdruck wichtig – also die Fähigkeit, auch mal abschalten zu können, nicht immer gleich antworten zu müssen, in Ruhe Hausaufgaben zu erledigen und abends ohne Messenger ins Bett zu gehen.
Wo liegen bei diesem Thema für Eltern die Grenzen, wenn es um die Aufsichtspflicht geht? Wann wird Aufsicht zu Überwachung?
Zwar haben Eltern im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht einen Förderungs- und Erziehungsauftrag gegenüber dem Kind, dieser erreicht aber seine Grenzen bei der Überwachung von Medien und eben Messenger-Unterhaltungen. Überwachung findet da statt, wo Eltern nicht transparent machen oder vorher besprechen, dass sie beispielsweise das Handy des Kindes durchschauen, dass sie Apps installiert haben, die aufzeichnen, wo die Kinder sich bewegen oder ähnliches. Denn abgesehen davon, dass das Recht der Kinder auf Privatsphäre verletzt wird, entstehen Risse in der Vertrauensbasis einer Eltern-Kind-Beziehung und auch die Vorbildfunktion der Eltern gerät ins Wanken.
Worauf sollten Eltern achten, wenn sie für ihre Kinder Regeln für WhatsApp & Co. aufstellen?
Vor allem Kinder brauchen bei ihren ersten Schritten in der Medienwelt eine unterstützende Struktur – und die wird auch durch Regeln ermöglicht. Dabei geht es um zeitliche Regeln – also wie lange pro Tag und zu welchen Tageszeiten sind die Messenger erlaubt? Aber auch um inhaltliche Regeln: Was kommuniziere ich – Bilder, Videos, Kettenbriefe, Status Profilbilder? Wie sicher ist mein Profil eingestellt? Welchen Ton schlage ich gegenüber anderen an und was mache ich, wenn mir etwas nicht gut tut oder „komisch“ vorkommt? Das alles kann man besprechen und zusammen entscheiden und festhalten. Hilfreich für die Umsetzung und vor allem Etablierung ist auch der so genannte Mediennutzungsvertrag.
Gibt es noch andere Möglichkeiten, Messenger-Apps „kindersicher“ zu machen?
Die Möglichkeiten, Messenger-Apps kindersicher zu machen, sind sehr beschränkt. Gerade WhatsApp lässt hier wenig Spielraum. Es gibt alternative Messenger Apps, die mit der Verschlüsselung von Daten besser funktioniert und nicht das gesamte Telefonbuch bzw. die Kontakteliste einsehen, aber auch da bleiben die Ecken und Kanten der generellen Kommunikation in Messenger-Apps bestehen.
Welche Messenger-Apps können Sie für Kinder empfehlen?
Eine sicherere Alternative ist die App Signal, wobei man aber immer sagen muss, dass sich hier auch die Funktionsweisen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen ändern (können), und man keine generellen Empfehlungen aussprechen kann. Ansonsten gibt es durchaus für Kinder konzipierte Messenger-Apps, deren Problem ist aber die Reichweite – das heißt, sie sind für Familien kein Ersatz für die Kommunikation über WhatsApp und Co.
Wie könnte es in 5 Jahren aussehen? Könnte der Messenger-Trend in der Zukunft wieder zurückgehen oder wird er weiterhin ein großer Teil im Leben unserer Kinder sein?
Ich denke, die Möglichkeit, flexibel jederzeit und überall erreichbar zu sein und kommunizieren zu können, wird weiter wichtig bleiben oder noch bedeutsamer werden, weil auch der Familienalltag und unser Leben immer flexibler und komplexer wird und solche Kommunikationsstrukturen erfordert. Tatsächlich gewinnen die so genannten „wearables“ an Bedeutung und könnten in Zukunft das Smartphone verdrängen. Kleine Tools als Armbanduhr oder eingenäht in die Kleidung oder als Modeaccessoires übernehmen Kommunikationsfunktionen – das sehen wir ja schon jetzt. Und auch da werden der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre, vor allem von Kindern, nochmal wichtiger werden!
Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Iren Schulz ist promovierte Medienpädagogin und selbst Mutter einer Tochter. Neben ihrer Tätigkeit als SCHAU HIN!-Mediencoach gestaltet sie als freie Dozentin im Bereich Medienkompetenz und Medienbildung deutschlandweit Fortbildungen, Workshops und Projekte. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Themen wie Cybermobbing, Mediensucht und Datenschutz sowie Fake News, YouTube und Sexualisierung. Zielgruppe sind Eltern und Pädagogen, aber auch die Kinder und Jugendlichen selbst. An der Universität Erfurt ist Iren Schulz Dozentin im Masterstudiengang Kinder- und Jugendmedien und im Studiengang Pädagogik der Kindheit.