Familienleben
Ein Leben ohne Müll
Annika Eliane Krause · 06.11.2018
zurück zur ÜbersichtGläser statt Verpackungen. © Annika Eliane Krause
Kaufen, konsumieren, wegwerfen: Egal ob Lebensmittel, Kosmetikprodukte oder Kleidung – so gut wie alles, was wir kaufen, produziert Müll oder wird selbst zu welchem. Im Jahr 2016 wurden laut statistischem Bundesamt 411,5 Tonnen Abfall in Deutschland produziert. Durchschnittlich verursacht ein Deutscher jährlich 220,5 Kilo Verpackungsmüll, wovon 24,9 Kilo aus Kunststoff bestehen (Umweltbundesamt). Seit der Entwicklung von Plastik in den frühen Fünfzigerjahren hat die Menschheit nach einer Hochrechnung weltweit etwa 8,3 Milliarden Tonnen des Materials produziert, was dem Gewicht von einer Milliarde Elefanten entspricht.
Extrem viel Plastikmüll
Durch die Mülltrennung in unserer Wohnung leisten wir zwar unseren persönlichen Beitrag zum Recyceln, allerdings wurden im Jahr 2015 nur etwa neun Prozent des Plastikmülls wiederverwertet und zwölf Prozent verbrannt. Die restlichen 79 Prozent befi nden sich in der Umwelt oder auf Deponien. Jedes Jahr gelangen rund acht Millionen Tonnen Plastikmüll in unsere Ozeane, das entspricht einer LKW-Ladung pro Minute. Im Nordpazifi k gibt es einen Müllstrudel, der inzwischen so groß ist wie ganz Zentraleuropa. Geht die Plastikproduktion weiter wie bisher, wird es 2050 mehr Plastik als Fisch in den Ozeanen geben, das erklärte die Ellen-MacArthur-Stiftung beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Das besonders Schlimme an Plastik ist: Die völlige Zersetzung kann bis zu 450 Jahre dauern. Wenn wir heute barfuß einen Strandspaziergang machen, haben wir neben Sandkörnern auch viele feine Plastikteilchen unter den Füßen.
Zero Waste im Familienalltag
Besser: Lebensmittel nach Gewicht abfüllen. © Annika Eliane Krause
Die Zahlen sind alarmierend, trotzdem wird das Bewusstsein für das eigene Konsumverhalten nur langsam geschärft. Und auch wer sich der schlechten Aussichten für die Zukunft unserer Erde bewusst ist, sieht sich selbst oft machtlos gegenüber der Masse an Verpackungen, die uns im Supermarkt erwartet. So siegt im Familienalltag oft doch die Bequemlichkeit und es wird zu Einwegprodukten, Plastiktüten und Fertiggerichten gegriffen. Dass es anders geht, zeigt die 34-jährige Olga Witt aus Köln. Seit 2013 lebt sie nach dem Zero-Waste-Prinzip – mittlerweile als Patchwork-Familie mit ihrem Mann, seinen drei Töchtern im Jugendalter und dem zweijährigen, gemeinsamen Sohn. Im Gespräch mit KÄNGURU erzählt sie, wie sie es schafft, Müll zu vermeiden und im Alltag mit der Familie konsequent in ihrem nachhaltigen Lebensstil zu bleiben.
Alles eingeschweißt, abgefüllt und portioniert
„In meiner Kindheit hatten wir nur Stofftaschentücher und bekamen beispielsweise keine Trinkpäckchen – sprich, meine Eltern waren mit ihrem bewussten Konsum ein gutes Vorbild. Im Studium fing es an, dass mich Verpackungen immer weiter störten. Außerdem konsumierte ich nur noch Bio-Produkte, die aber meist noch mehr verpackt waren. Durch Zufall stieß ich auf einen Artikel über Zero Waste und war fasziniert von dem Gedanken, dass es möglich ist zu leben, ohne Müll zu produzieren. Das ist nun fünf Jahre her und ich versuche, das Prinzip immer weiter auszubauen.“ Doch wie soll das funktionieren – ein Leben ohne Müll? Schließlich ist alles eingeschweißt, abgefüllt und portioniert. Zero Waste heißt nicht nur, Plastikverpackungen zu vermeiden, es ist eine Lebenseinstellung, die das gesamte Konsumverhalten hinterfragt. „Der Großteil des Mülls ist kein Verpackungsmüll, sondern Konsummüll. Alles, wofür man Geld ausgibt, was man kauft, wird irgendwann zu Müll. Wir gucken, dass wir das, was wir haben, länger behalten und wertschätzen. Unabhängig vom Trend. Überall ist Sperrmüll, es werden so viele Sachen weggeschmissen, die noch schön sind. Deshalb besitzen wir fast mehr, als wir brauchen. Ich verstehe nicht, wieso ich mir neue Dinge kaufen sollte.“
Über alte Gewohnheiten nachdenken
Als sich Olga dazu entschied, nach dem Zero-Waste-Prinzip zu leben, überdachte sie ihre Gewohnheiten im Alltag. Ihr Badezimmer wurde ausgemistet: d enn alles, was füssig ist, braucht eine Verpackung. Statt Duschlotion und Shampoo benutzt sie Kernseife, Zahnpasta wird durch Zahnpulver ersetzt und als Deo verwendet sie in Wasser aufgelöstes Natron. Auf Schminke verzichtet Olga gänzlich, was sie als Prozess der Selbstwahrnehmung und ihres K.rpergefühls beschreibt. Die Plastik-Zahnbürste besteht nun aus Bambus und statt Klopapier hängt eine Hygienebrause im Badezimmer. Auch Reinigungsmittel stellt sie selbst her, ihr Waschmittel besteht aus Kastanien und Efeu. „Das kann noch optimiert werden, aber ich stecke gerne Energie darein, eine alternative Lösung zu finden. Natürlich muss man sich einmal reinfuchsen und überlegen, wie es geht und was ich kann. Aber hat man diesen Prozess einmal geschafft, ist es nicht zeitintensiver, als wenn man ständig neue Sachen kaufen muss.“
Lebensmittel bewusst einkaufen
Olga in ihrem Unverpacktladen. © Annika Eliane Krause
Neben Drogerieprodukten spielt die Ernährung eine große Rolle beim Thema Nachhaltigkeit und Müllproduktion. Olga isst ausschließlich regionale und saisonale Lebensmittel, wenig Fleisch und andere tierische Produkte. „In meiner Transformationsphase gab es schon das Gefühl, verzichten zu müssen. Beispielsweise liebe ich Schokolade, aber es gab sie nicht unverpackt. Eine Tafel ist immer mit Aluminium, teilweise zusätzlich noch mit Papier umwickelt. Das wollte ich einfach nicht unterstützen und habe mir deshalb keine mehr gekauft. Es ist vergleichbar mit einem vegetarischen Lebensstil. Man entscheidet sich dazu aus einem bestimmten Grund und anfangs vermisst man gewisse Dinge, aber es tut nicht weh, wenn man mit seinen Idealen dahintersteht. Stattdessen schätze ich die Dinge, die ich mit gutem Gewissen konsumieren kann. Mich reizt die Herausforderung: Was kann man im Winter essen, ohne dass es importiert werden muss? Ich habe viele neue Lebensmittel kennengelernt, Wurzelpetersilie zum Beispiel.“
Der eigene Laden spiegelt den Lebensstil
Anfangs ging sie auf den Markt und kaufte beim Großhändler ein, um die Verpackungen zu minimieren. Es folgte eine Einkaufsgemeinschaft mit 25-Kilogramm-Lebensmittelsäcken und ein Onlineshop für nachhaltige Alternativen zu alltäglichen Einwegprodukten. Im Herbst 2016 eröffnete sie gemeinsam mit ihrem Mann Gregor Witt und Dinah Stark den ersten Unverpackt-Laden in Köln: „Tante Olga“. Das Prinzip des Geschäftes ist es, neben Drogerieartikeln auch die Lebensmittel unverpackt anzubieten, die es im gewöhnlichen Supermarkt nur portioniert und eingeschweißt gibt – wie beispielsweise Schokolade und Nudeln. Die Lebensmittel stammen hauptsächlich von Großhändlern, aber auch von kleineren, regionalen Produzenten. Die Kunden bringen Gläser, Dosen oder Stoffsäckchen als Behälter mit und bezahlen die Produkte nach Gewicht. „Im Endeffekt eröffneten wir den Laden, weil wir selbst so einkaufen wollten. Da es so etwas noch nicht in Köln gab, nahmen wir es selbst in die Hand. Wir sehen uns mit unserem Laden auch als Inspiration, um Menschen zu zeigen, was und wie es möglich ist zu leben.“
In einer Familie sind Kompromisse nötig
In Olgas Laden gibt es ein reichhaltiges Sortiment. © Annika Eliane Krause
Als Olga vor fünf Jahren ihr Leben umkrempelte, war das eine Entscheidung, die sie alleine traf. „Meinen Mann Gregor habe ich erst kennengelernt, als ich mein Leben schon auf Zero Waste ausgerichtet hatte. Er war auch damals schon auf einer ähnlichen Ebene, also sehr umweltbewusst. Aber ihm ging es wie vielen, dass er nicht wusste, was er konkret in seinem Leben ändern kann. Als er von meinem Lebensprinzip erfuhr, war er direkt begeistert und schmiss auch bei sich von heute auf morgen alles um.“ Durch diese plötzliche Entscheidung von Gregor wurde auch das Leben seiner jugendlichen Töchter stark verändert, welche abwechselnd zwei Wochen bei Olga und Gregor und zwei Wochen bei ihrer Mutter wohnen. „Da Gregors Wandel so radikal und schnell passierte, folgte eine große Rebellion seiner Kinder. Nun balancieren wir zwischen unseren Idealen und der Realität und dem Willen seiner Töchter. Wir müssen uns auf Kompromisse einigen, um den Frieden in der Familie zu bewahren. Es war eine Entwicklung meinerseits, zu reflektieren, dass nicht jedes Gramm Müll eine Krise wert ist. Darauf kommt es nicht an, sondern vielmehr auf das große Ganze, und auch darum, den Lebensstil für andere in dem Ausmaß, wie es für sie vertretbar ist, attraktiv zu machen. Bei den Pflegeprodukten haben wir die Regeln ganz schnell wieder gelockert, weil es nur Streit brachte. Im Bad dürfen sie benutzen, was sie wollen, auch wenn es keine Bioprodukte sind. Dafür sind wir beim Essen sehr strikt, da gibt es keine Ausnahmen bei uns.“
Windelfrei mit eineinhalb
Der gemeinsame Sohn von Olga und Gregor ist zwei Jahre alt und wächst mit dem Zero-Waste-Lebensstil auf. Auch mit Kind geht Olga nicht in Drogeriemärkte, sondern versucht für jede Herausforderung eine Lösung zu finden, die zu ihren Idealen passt. „Der Vorteil bei mir ist, dass ich ein Leben mit Kind ohne Zero Waste nicht kenne. Insofern musste ich mich nicht umstellen, sondern habe von Anfang an nur das für mein Kind verwendet, was ich mit meinem Lebensstil vereinbaren kann.“ Entsprechend trug ihr Sohn nur Stoffwindeln, aber auch diese braucht er mittlerweile nicht mehr – denn er war bereits mit eineinhalb Jahren windelfrei. „Aber auch bei unserem Sohn werden die Konflikte kommen, spätestens wenn die Kindergeburtstage anfangen. Ich habe mir vorgenommen, ihm außer Haus nichts zu verbieten, da das wahrscheinlich nach hinten losgehen wird. Mir ist es wichtiger, mit meinem Kind im Dialog zu sein und ihm begreifbar zu machen, wieso wir so leben, wie wir es tun. Er soll die Ideale dahinter verstehen, statt das Gefühl zu haben, zu dem Lebensstil gezwungen zu werden und Nachteile im Vergleich zu seinen Freunden zu haben.“
Es kann einfach sein und nicht teuer
Oft wird davon ausgegangen, dass ein nachhaltiges, bewusstes Leben den Besserverdienern vorenthalten ist. Schließlich ist der Bioladen teurer als der Discounter um die Ecke. Olga vertritt die Meinung: „Zero Waste ist ein effizienter Weg, seine täglichen Kosten dauerhaft zu reduzieren.“ Durch ihren Lebensstil verzichtet sie auf Einwegprodukte, Snacks und Coffee-to-go. Auch für Statussymbole oder Markenkleidung gibt sie kein Geld aus, sodass sie es stattdessen in Bio-Lebensmittel investieren kann. Eine bewusste Ernährung und ein bewusster Konsum sei somit kein Privileg, sondern als Resultat eines generellen Umdenkens für jeden möglich. „Das Schöne ist, dass es viele Kleinigkeiten gibt, die nicht kompliziert sind. Beispielsweise ist Leitungswasser das am besten kontrollierte Lebensmittel Deutschlands. Wieso sollte ich mir Wasser kaufen, schleppen und in Flaschen füllen, wenn es doch kostenlos aus der Leitung kommt? Das beste Zero-Waste-Gadget ist ein Stoffbeutelchen, in das du alles füllen kannst und damit auf Verpackungen verzichtest – sei es Brot, Gemüse oder Kaffeebohnen. Das gleiche gilt für Glasfaschen und Brotdosen: Es sind so simple Dinge, die im Alltag unnötigen Müll vermeiden.“
Tante Olga
Berrenrather Str. 406
50937 Köln
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