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Bildung

Tipps zum Umgang mit Mehrsprachigkeit

Anja Tischer · 20.03.2014

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© pexels.com

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Die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu lernen, ist angeboren. Doch worauf achten, wenn das eigene Kind mehrsprachig aufwächst? Eines scheint besonders wichtig zu sein: Eltern sollten mit ihrem Kind in der eigenen Muttersprache sprechen.

In den 70er Jahren wagte Tayfun Keltek einen Schritt, der sein Leben grundlegend verändern sollte. Der heute 66-Jährige verließ seine Heimat, die Türkei, und siedelte nach Deutschland um. Er begann in Köln ein Aufbaustudium an der Deutschen Sporthochschule. Bestimmt ahnte er damals noch nicht, was sein neues Leben alles für ihn bereithalten würde. Zum Beispiel, dass er das Bundesverdienstkreuz erhalten wird, weil er sich für Integration und Mehrsprachigkeit engagiert. Dass er in Deutschland eine eigene Familie gründen wird, eine deutsche Frau heiratet, einen Sohn und eine Tochter bekommt. Und dass die beiden Kinder von Anfang an Deutsch und Türkisch lernen werden.

Mehrsprachigkeit ist in den überwiegenden Ländern auf der Welt normal. Allein in Deutschland sind laut statistischem Bundesamt 190 Staaten der Welt vertreten. Einsprachige Menschen sind in der Unterzahl. Und durch die weltweite Globalisierung wird mehrsprachige Erziehung immer bedeutsamer. Die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu lernen, ist uns von Geburt an mitgegeben.

Kinder können jede beliebige Sprache lernen

Neugeborene können schon kurz nach der Geburt ihre Muttersprache von anderen Sprachen unterscheiden. In Untersuchungen saugten Babys besonders intensiv am Schnuller, wenn sie eine fremde Sprache hörten. Das Ergebnis zeigt: Kinder lernen schon im Mutterleib Sprachrhythmus und Lautstrukturen ihrer Muttersprache kennen. Und wenn sie eine fremde Sprache hören, nehmen sie diesen Unterschied sogar schon wahr. Mit dieser Fähigkeit können Babys somit jede beliebige Sprache der Welt lernen. Im Laufe des ersten Lebensjahres entdecken die Kinder dann immer mehr Eigenheiten ihrer Muttersprache. Damit schwächt sich auch ihre Sensibilität für fremde Sprachen ab. Trotzdem können sie aber nach wie vor weitere Sprachen lernen.

Zwei Sprachen – gleichzeitig oder nacheinander

Die Kinder von Tayfun Keltek, beide heute erwachsen, wuchsen „simultan-bilingual“ auf, das heißt, sie lernten von Geburt an gleichzeitig zwei Sprachen. Fachleute sprechen auch vom „doppelten Erstspracherwerb“. Häufig haben solche Kinder ein starke und eine schwache Sprache. Die Hauptsprache der Keltek-Kinder war immer Deutsch, erzählt der Vater. Denn im gesamten Umfeld, in der Kita, im Freundeskreis und mit der Mutter haben sie deutsch gesprochen.

Kinder, die von Geburt an zwei Sprachen gleichzeitig lernen, können während des Spracherwerbs bestimmte Merkmale zeigen, die ganz normal sind. Am Anfang wirkt der gesamte Input auf sie wie eine Sprache. Doch nach und nach bauen die Kinder zwei verschiedene Systeme auf. Möglicherweise produzieren sie deshalb die ersten Worte etwas später, das muss aber nicht zwingend sein. Außerdem kann es vorkommen, dass sich die verschiedenen Sprachen beeinflussen. So können bilinguale Kinder durchaus auch einmal zwei Sprachen in einem Satz mischen, etwa „Da kommt a big dog.“ Ein weiteres Beispiel: Die türkische Sprache kennt keine Artikel. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn ein deutsch-türkisches Kind zeitweise mit „der“, „die“ und „das“ durcheinanderkommt.

Lernt ein Kind die zweite Sprache erst, wenn es eine andere Sprache bereits einigermaßen beherrscht, sprechen Experten vom „sukzessiv-bilingualen Erwerb“. Hier ist das Alter des Kindes entscheidend. Beginnt zum Beispiel ein türkischsprachiges Kind noch vor dem dritten Lebensjahr mit der deutschen Sprache, verläuft der Erwerbsprozess bestimmter grammatischer Regeln ähnlich wie bei deutschen Muttersprachlern. Nach dem sechsten Lebensjahr scheinen die Kinder dann in ähnlichen Schritten wie Erwachsene zu lernen.

Mehrsprachigkeit verursacht keine Störungen

Ob nun von Geburt an oder später „ein normal entwickeltes Kind, das keine Sprachverarbeitungsproblematik hat, hat kein Problem damit, mehrere Sprachen gleichzeitig zu erwerben“, sagt Dietlinde Schrey-Dern vom Deutschen Bundesverband für Logopädie (dbl). Es ist ein verbreiteter Irrtum und wissenschaftlich widerlegt, dass Zweisprachigkeit beispielsweise eine Sprachentwicklungsstörung verursacht. „Eine Sprachentwicklungsstörung ist Resultat einer Verarbeitungsstörung, die genetisch oder durch Behinderungen bedingt sein kann“, erklärt Schrey-Dern. Kinder, die zu wenig sprachliche Anregungen bekommen, sind in ihrer Entwicklung verzögert, haben aber in der Regel keine Sprachstörung.

Bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern mit einer Sprachentwicklungsstörung zeigen sich die Symptome in allen Sprachen. Um eine Störung festzustellen, ist eine spezielle Sprachdiagnostik nötig. Und wenn Eltern das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt, sollten sie die Untersuchung auch einfordern. „Es ist kontraproduktiv, wenn Eltern sich Sorgen machen und vom Kinderarzt hören: ‚Das liegt an der Mehrsprachigkeit’ oder ‚Das wächst sich raus’“, sagt Schrey- Dern. Besorgte Eltern brauchen eine gründliche Beratung und die Kinder eventuell eine Therapie. Auch wenn die Therapie dann meistens auf Deutsch abläuft – es gibt Hinweise, dass sich die Behandlung trotzdem auch auf die andere Sprache auswirkt.

In der Muttersprache mit dem Kind sprechen

Nach Kelteks Beschreibung verlief die Entwicklung seiner Kinder völlig normal. Keine Auffälligkeiten, keine Sprachentwicklungsstörungen. In den 90er Jahren riet man dem Ehepaar an der Schule, mit den Kindern nur deutsch zu sprechen. Doch Keltek wollte sich in seiner Muttersprache mit seinen Kindern unterhalten. Türkisch gehörte zu seiner Identität, zu seiner Kultur. Damals arbeitete er als Sportlehrer an einer Kölner Schule und ihm missfiel schon lange, dass zweisprachige Kinder sich nur auf die deutsche Sprache konzentrieren sollten. „Ich habe mich dann viel mit dem Thema befasst“, sagt der Vater. Er erzählt, dass er sich heute im Integrationsrat für zweisprachige Alphabethisierung stark macht. „Entgegen dem Rat der Lehrer bemühte ich mich damals, mit meinen Kindern möglichst nur türkisch zu reden.“ Und damit war Tayfun Keltek seiner Zeit voraus.

Heute raten Logopäden Eltern, in der Sprache mit dem eigenen Kind zu sprechen, die sie am besten beherrschen. „Sprechen Eltern in der eigenen Muttersprache zu ihrem Kind, unterstützen sie den ungestörten Erwerbsverlauf“, so Schrey-Dern. Lernt ein Kind nämlich eine Sprache richtig gut, kann es darauf aufbauend weitere Sprache lernen. Natürlich dürfen die Eltern vor dem Kind mit ihrem Ehepartner, mit Freunden oder beim Einkaufen in der Umgebungssprache sprechen. Aber für das Kind muss klar sein, mit wem es in welcher Sprache spricht. „Meine Kinder wussten ganz genau, dass sie mit mir nur türkisch sprechen können“, sagt Keltek. Türkisch – seine Landessprache, mit der er aufgewachsen ist, die für ihn das Natürlichste der Welt ist. Alles andere hätte doch etwas Künstliches, käme nicht spontan. Wenn vor Dietlinde Schrey-Dern Eltern sitzen, die mit ihrem Kind nicht in ihrer Muttersprache sprechen, sondern beispielsweise in Englisch, weil sie diese Fremdsprache besonders gut können, wird die Logopädin hellhörig. „Davon rate ich ab“, sagt Schrey-Dern. „Das hat etwas Schulisches und kann vielleicht sogar die Beziehung zum Kind stören.“

Möglichst viel mit den Kindern sprechen

 

Tayfun Keltek reichte es nicht, dass seine Kinder nur mit ihm türkisch sprachen. Er engagierte eine türkischsprachige Frau, die sich um seine Kinder kümmerte, wenn die Eltern beruflich eingespannt waren. Über den Kindergarten und die Mutter fanden sie außerdem schon früh deutsche Freunde. So erhielten die Kinder möglichst viel Input und zwar von Landsleuten beider Sprachen. Aber Keltek tat noch etwas. „Sobald ich etwas Freizeit hatte, war meine erste Aufgabe, mit meinen Kindern Zeit zu verbringen“, erzählt er. Er brachte sie zum Babyschwimmen, später zum Schwimmverein und zum Fußball. Er versuchte einfach, sich so viel wie möglich um seine Kinder zu kümmern. Kelteks Kinder hatten in ihren Regalen fast genauso viele türkischsprachige Bücher wie deutsche. Die hat der Vater alle von seinen Reisen in die Türkei mitgebracht. Keltek hat eigentlich alles genauso gemacht wie ein Vater einsprachiger Kinder.

Gemeinsam Zeit verbringen und das Kind bestärken in dem, was es sagt und tut, seine noch nicht ganz korrekten Äußerungen aufgreifen und erweitern; Lieder singen, gemeinsam spielen, Bücher und vielleicht auch bilinguale Bücher ansehen – genau wie einsprachige Kinder brauchen bilinguale Kinder ein reiches Angebot, nur eben in zwei Sprachen. Und das passiert am besten über soziale Kontakte, über Freunde – auch außerhalb der Kita –, über Situationen, in denen sie sowohl die eine also auch die andere Sprache wirklich und wahrhaftig leben.

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