Betreuung
Paten für Flüchtlingskinder
Anja Tischer · 28.01.2015
zurück zur ÜbersichtKinder spielen Crossboccia am Rhein © Anja Tischer
Dass hier einmal das ehemalige Versorgungsamt stand, lassen nur noch die schweren Mauern des gleichförmigen Baus erahnen. Matte Fensterscheiben blicken aus dem besprayten Gebäude auf die Schnellstraße. Das Gatter steht offen und gibt den Blick frei auf die Notunterkunft für Flüchtlinge an der Boltensternstraße in Köln-Riehl. Im Eingang stehen zwei Jugendliche und essen Chips. Männer, Frauen und Kinder kommen und gehen.
Zusammen mit der Gymnasiallehrerin Maya Perkow und ihrem Kollegen Volker Kühl besuche ich heute die Familie Sabiha*. Das Ehepaar ist mit seinen Kindern aus Bosnien-Herzegowina geflüchtet und lebt seit einem Jahr in Deutschland. Perkow und Kühl engagieren sich als Paten für die Kinder. Sie beteiligen sich damit an einem Projekt mit dem umständlichen Titel „Außerschulische Betreuung von Flüchtlingskindern durch ehrenamtliche Patinnen und Paten“ – eine Initiative des Kölner Flüchtlingsrats und der Kölner Freiwilligenagentur, finanziert durch die Stadt Köln.
Pädagogische Vorerfahrung erwünscht
Noch ein gutes Jahr soll das Projekt andauern. Die ehrenamtlichen Helfer treffen sich ein bis zwei Mal wöchentlich mit einem oder mehreren Kindern. Sie bieten Freizeitaktivitäten an, helfen bei den Hausaufgaben oder trainieren mit den Kindern den Schulweg. Bisher gibt es 22 Paten. Eigentlich sollten es bis April dieses Jahres doppelt so viele sein. Die Initiatoren suchen noch weitere Helfer. Interkulturelle und pädagogische Vorerfahrung ist erwünscht. Regelmäßig treffen sich die Teilnehmer zu Besprechungsrunden und reflektieren das Erlebte.
Als wir das Zimmer der Sabihas betreten, gibt es ein großes Hallo. Herzliches Lachen, fester Händedruck, die Kinder grüßen höflich. Die Eltern bieten uns Stühle an dem einzigen Tisch an. Mit drei Söhnen im Alter von sechs, acht und zehn Jahren leben sie in dem quadratischen Raum. Die Stockbetten hat die Familie auseinandergebaut und aufgereiht. Das quietsche nachts weniger, erklärt der Vater mit Gesten und einzelnen deutschen Wörtern. In einer Ecke läuft ein Fernseher, an einer Wand hängt ein Tierposter, das aus einer Apothekenzeitschrift stammen könnte, auf einer Fensterbank liegt ein Teddy. Es riecht nach Zigarettenqualm und Übergangslösung. Die Kinder sind eingeschüchtert durch meinen Besuch, aber die dunklen Augen mustern mich neugierig. Meine Anwesenheit scheint in Ordnung zu sein, denn ihre Eltern bieten mir lächelnd Wasser und Kaffee an.
„Die Kinder flogen uns in die Arme.“
Bereits vor seiner Patenschaft spendete Volker Kühl Geld für Flüchtlinge, doch das reichte ihm irgendwann nicht mehr. „Ich hatte Lust, endlich etwas zu tun“, erzählt der 38-Jährige. Genau wie seine Kollegin Maya Perkow, die deshalb Kontakt mit dem Kölner Flüchtlingsrat aufgenommen hatte. „Natürlich, vor dem ersten Treffen waren wir aufgeregt“, sagt die 31-jährige Deutschlehrerin. Was sollen wir mit den Kindern unternehmen? Wie verständigen wir uns überhaupt mit ihnen? „Doch die Kinder flogen uns direkt in die Arme“, erinnert sich Kühl. Die Dankbarkeit der Eltern überraschte beide.
Der zehnjährige Mohammed balanciert ein Tablett mit Gläsern und Tassen, die er vermutlich im Gemeinschaftsbad auf dem Gang gespült hat. Auf den Toiletten riecht es nach Urin, es gibt kein Toilettenpapier, keine Seife und Handtücher. Das muss sich scheinbar jeder selbst mitbringen. Mutter Abida Sabiha kocht Kaffee auf zwei elektrischen Herdplatten im Zimmer und rührt den Zucker direkt in die Kanne. Heiß und süß. Als Maya Perkow ihre Tasse leert, bietet die Mutter sofort mehr an.
Die Familie spricht ein paar Brocken Deutsch, es reicht für das Gröbste. Wie geht es euch? Was macht die Schule? Darüber unterhalten sich Perkow und Kühl mit den Sabihas. Warum sie nach Deutschland flüchteten – für solche Gespräche reicht es nicht. Darüber können die beiden Paten nur spekulieren und sich aus spärlichen Informationen eine Geschichte über Armut und Perspektivlosigkeit zusammenreimen. „Das macht es manchmal anstrengend“, sagt Kühl. Ich frage den Sohn Mohammed nach dem bosnischen Wort für „Hallo“. Die Sprache klingt weich und anmutig. Wir lernen weitere Floskeln und ich komme mit der Mutter in ein holpriges Gespräch.
Streitigkeiten zwischen den Bewohnern
Wenn die Kinder nicht in der Schule sind, gehe sie bis zu vier Mal pro Tag spazieren, erzählt Abida Sabiha. Die Familie halte sich nicht gerne in der Notunterkunft auf. Häufig komme es zu Streitigkeiten zwischen den Bewohnern – sowohl zwischen Erwachsenen als auch zwischen Kindern. Sicherlich spielen in diese Konflikte auch politische Hintergründe hinein. In der Notunterkunft leben laut dem Vater Menschen aus Bosnien, Serbien, Mazedonien, Kosovo und Albanien – Nationalitäten, die eine schwierige gemeinsame Geschichte auf der Balkanhalbinsel verbindet.
Abida Sabiha erzählt von zwei erwachsenen Töchtern, die eine hat es bis nach Chicago verschlagen. Dann gibt es noch einen erwachsenen Sohn, „ihren Junge“. Der 23-Jährige lebt im Ruhrpott. Er hat Babys, sagt die Mutter und strahlt. Warum hat er Asyl und der Rest der Familie nur einen Duldungsstatus? Schulterzucken, ratlose Gesichter. Alle drei Monate muss sich der Vater in Kalk ein Dokument bestätigen lassen.
Die Besuche von den Paten Volker Perkow (Mitte) und Maya Kühl sind eine willkommene Abwechslung © Anja Tischer
Die Gesetzeslage sieht vor, dass Menschen mit Duldungsstatus nicht arbeiten dürfen. So höflich und herzlich die Sabihas uns hier empfangen – sie leben seit einem Jahr beschäftigungslos mit drei Kindern auf engstem Raum. Hier gibt es keine Rückzugsmöglichkeit, wenn der Vater einmal nicht mehr seinen Frust verbergen kann, wenn die Mutter vielleicht nicht mehr das Gesicht wahren kann oder wenn sich die halbwüchsigen Geschwister streiten.
Ausflug an den Rhein
Heute geht es mit den Kindern an den Rhein zum Crossboccia. Die Luft ist kalt und frisch, der Himmel klar. An der Straße nehmen sich die Kinder ganz selbstverständlich an den Händen, immer zwei und zwei. Kein Vorpreschen, keine Ermahnungen. Ein paar Wegminuten später fliegen am Rheinufer im hohen Bogen Bälle durch die Luft. Der sechsjährige Miralem nimmt vor dem Wurf Anlauf. Er gilt als der schnellste Läufer der Gruppe. Jeder möchte zuerst an der Reihe sein. Perkow und Kühl müssen erst einmal die Spielregeln klären. Dann wird gezielt und gerannt, Kinderstimmen klingen über das Ufer. Nach der ersten Runde steht ein Sieger fest. Beim zweiten Mal entscheiden die Kinder, dass „alle“ gewonnen haben. Ein Radfahrer klingelt und die Kinder springen beiseite. Vom Parkplatz der Wohnmobile und Campingwagen schlendert ein älterer Herr herüber und sieht zu. Die Stimmung ist ausgelassen und unbeschwert. Ein schönes Bild, mit dem ich die Kinder in Erinnerung behalten werde. Ich verabschiede mich mit Handschlag von ihnen. Als ich in die Pedale trete, rufen sie mir noch einmal „Tschuuuss“ hinterher. Ich drehe mich um und winke.
*Name geändert
Info:
Für das Projekt werden noch Freiwillige gesucht. Interessierte wenden sich an mentoren@koeln-freiwillig.de. (Stand 27.10.2015)