Ausflug
„Time Out"
Rebecca Ramlow · 02.03.2020
zurück zur Übersicht© Christopher Horne
Von Zeitfenstern und Zeitdruck
Wie oft hattest du heute schon das Gefühl gehabt, nicht genug Zeit zu haben? Wie oft im vergangenen Monat? Im vergangenen Jahr? Mal ehrlich, wir schwadronieren doch ständig von Zeitfenstern oder machen uns selber und anderen Zeitdruck. Der große Andrang heute im Comedia Theater beweist zum Glück, dass viele jüngere und ältere Besucher sich sehr wohl Zeit nehmen können – in diesem Fall für die Premiere von „Time Out“. Dabei ist „Zeit doch Geld“ und „man soll bitte Gas geben!“ Jüngste Beobachtungen zeigen jedoch, dass das Leben auf der Überholspur und der schnelle Konsum-to-go auf Dauer uns selber und unserer Umwelt schaden, weshalb die jüngere Generation bereits Entschleunigung propagiert. Höchste Zeit also, sich mit dem dauerhaften, wenngleich nicht freiwillig ausgesuchten Weggefährten auseinanderzusetzen.
Hingeknallte Zeitpunkte
So wie das von Rüdiger Pape inszenierte Stück „Time Out“ im Comedia Theater, das von Christina Kettering geschrieben wurde. Jenes stellt die Frage: Was ist überhaupt Zeit? Wie visualisiert man ein abstraktes und sehr komplexes Phänomen? Und das auch noch für Kinder? Wo fängt man überhaupt an?
Vielleicht, indem man eine Prise Humor nimmt, die Zeit wortwörtlich am Schopf packt und den Zuschauer auf eine abenteuerliche Zeitreise mitnimmt, die bei der eigenen Geburt beginnt ... Oder noch früher, schließlich wurde man von seinen Eltern ja auch irgendwie produziert. Ferner setze man eine komische Chemiebrille auf – so wie Laura Naila Vorgang, die dabei wie wild auf einem tickenden Zifferblatt herumläuft, bevor sie gemeinsam mit ihrem Schauspielkollegen Raphael Souza Sá auf diverse Zeitpunkte schießt. Dabei wird das Instrument des Musikers, der die beiden begleitet, beschossen. Ein Zeitpunkt = ein Knall.
Raphael Souza Sá und Laura Naila Vorgang im Wettlauf gegen die Zeit © Christopher Horne
Wettlauf gegen die Zeit?
Fortan beginnt ein theatralischer Wettlauf gegen die Zeit. Während Vorgang alsbald langsam wie eine Schnecke über die Bühne kriecht, hetzt ihr Partner manisch und panisch durch die Gegend. Gefolgt vom Zeitstehlen aus der hart umkämpften Bühnen-Zeit-Torte. Die im Raum herumtickende Frage lautet: Wem oder was jagen wir eigentlich hinterher? Ist unser angebliches Zeitproblem selbst gemacht? Ist die Zeit, deren Namen wir ständig benutzen, ein tatsächlicher Feind oder ein marktwirtschaftliches Produkt unserer Zeit? Mal scheinen wir gar keine zu haben. Dann wieder mutet das Warten wie ein zähes, durchgekautes Kaugummi an. Und warum können wir die Zeit nicht anhalten?
Nimm eine Baum-Auszeit
Auch ein Theaterstück hat eine begrenzte Spieldauer. Passend zu der anfänglichen Geburt und dem sich selber ermahnenden Titel „Time Out“ erinnert es am Ende daran, dass wir alle irgendwann das Zeitliche segnen. Schließlich nagt der Zahn der Zeit auch an uns
Wie immer nimmt das Comedia Theater sein junges Publikum für voll, und traut ihm zu, auch mit ernsteren Themen umgehen zu können. So endet das Stück mit einer zum Nachdenken anregenden Szene, in der eine Mutter ihren Nachwuchs ermahnt, doch bitte endlich vom Baum herunter zu kommen. Schließlich warten wichtigere Dinge wie das Essen. Bis sie sich erinnert, dass auch sie einst mal nichts tuend auf einem Baum saß und von ihrer Mutter gerufen wurde ... Während der Baum noch lebt, ist die Mutter inzwischen tot.
Laura Naila Vorgang, Raphael Souza Sá und der Musiker Achim Fink © Christopher Horne
Fazit: Zeitlos
Dem Comedia Theater ist es gelungen, ein zeitloses Stück gegen die deutschen Tugenden Fleiß und Pünktlichkeit auf die Bühne zu katapultieren. Hätte ich mehr Zeit gehabt und gäbe es nicht wieder einen drängenden Abgabetermin, würde ich noch mehr von der spannenden Reise in die Zeit berichten. Wer ein Zeitfenster freischaufeln kann, sollte sich diese Vorstellung anschauen.
COMEDIA Theater
Vondelstraße 4-8
50677 Köln
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