Teenager
Urban Gardening – Gärtnern in der Großstadt
Ursula Katthöfer · 01.07.2021
zurück zur ÜbersichtCARLsGARTEN – Gemeinschaftsgarten in Köln-Mülheim © Inga Drews
Woher kommt Urban Gardening und was bedeutet es?
„Bowery“ heißt ein Stadtteil im südlichen Manhattan. Der Name geht auf das niederländische „boerderij“ zurück – Bauernhof. Doch wie ein Bauernhof sieht die Bouwery in den frühen 70-er Jahren keineswegs aus. Müll, Schutt und Autowracks verdrecken die Straßen, Häuser sind zu Ruinen verkommen – bis Liz Christy kommt. Die 23-jährige Künstlerin räumt auf. Sie trommelt Freunde zusammen und gründet die „Green Guerilla“. Die jungen Menschen entrümpeln ihren Stadtteil, reinigen Plätze und Straßen, besorgen Erde und stehlen im Bankenviertel der Wall Street Bäume und Blumen, um sie umzupflanzen. Am 23. April 1974 vermietet die Stadt New York ihnen eine Brachfläche, die zum ersten offiziellen Gemeinschaftsgarten wird. Es ist die Geburtsstunde des Urban Gardening.
Urbanes Gärtnern © iStock/fotografixx
Nun mag man einwenden, dass die Green Guerilla das Gärtnern in der Großstadt nicht erfunden hat. Seit Menschen vom Land in die Städte ziehen, bringen sie ihr Wissen über die Natur mit und legen Gärten an – selbst in schwierigsten Zeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten die Kölner:innen hinter den Trümmern ihrer Häuser Kartoffeln und Rüben an – der Hunger war groß. Die erste Bundesgartenschau NRWs öffnete 1957 ihre Tore im Kölner Rheinpark. Die große Sensation damals: Eine Seilbahn, die als erste Seilbahn Deutschlands einen Fluss überquerte. 1971 folgte die zweite Kölner BUGA, Bonn zog 1979 in der Rheinaue nach und ließ sich – ganz Bundeshauptstadt – Pflanzen aus aller Welt schenken. So entstand der Japanische Garten.
Grüne Flächen in Köln
Das Kölner Stadtgebiet besteht zu 18,6 Prozent aus Parks und zu 7,2 Prozent aus Wald.
(Quelle: Stadt Köln, Statistische Daten)
Köln und Bonn werden zur Essbaren Stadt
Doch der Gedanke des Urban Gardening meint etwas ganz anderes. Es geht nicht um Gemüse von der eigenen Scholle oder exotische Blumenbeete im Park. Es geht vielmehr um die Nachbarschaft und das gemeinsame Gestalten einer Essbaren Stadt. In Köln und Bonn haben sich Ernährungsräte gebildet, die den Anbau von Lebensmitteln in der Stadt fördern möchten. Ihr Ziel ist nicht nur der möglichst regionale Anbau von Tomaten, Gurken und Zucchini. Sie wollen ein neues Bewusstsein für Ernährung, Nachbarschaft, Gesundheit und Klimaschutz schaffen. Dabei geht es um mehr als Lebensmittel für den Menschen. Bienenweiden und Streuobstwiesen mitten in der Stadt nähren Tiere wie Bienen, Hummeln, Käfer, Schmetterlinge und Vögel. Gärten bringen mehr Lebensqualität in die Städte – für alle Lebewesen. Mit Urban Gardening wächst das Bewusstsein für die Natur.
Wie groß das Interesse von Jugendlichen an diesem Trend ist, zeigt die Studie „Jugend-Naturbewusstsein 2020“, die im vergangenen April erschien. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) mit Sitz in Bonn wurden 1.000 repräsentativ ausgesuchte Jugendliche im Alter von 14 bis 24 befragt. Die Ergebnisse in Kürze: Junge Menschen zieht es raus in Grüne, die Pandemie hat ihren Wunsch nach Erholung in der Natur noch verstärkt. Sie möchten mehr über Bäume und Vögel erfahren, Artenvielfalt sowie Schutzgebiete sichern und gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet wissen.
Jugendangebote der Naturschutzverbände
Auch bei den Naturschutzverbänden findet während der Pandemie Jugendarbeit statt – häufig online. Der NABU wendet sich mit dem speziellen Programm der NAJU an 14- bis 27-Jährige, um Streuobstwiesen zu pflegen oder Vögel und Fledermäuse zu schützen.
In Köln bietet die NAJU eine Zooschule sowie eine Gruppe in Bocklemünd.
In Bonn bietet die NABU Kreisgruppe u.a. Ferienaktionen an. Die Angebote in Köln und Bonn richten sich eher an jüngere Teenager als an junge Erwachsene.
Die BUND Jugend NRW bietet zum Beispiel Seminare wie „Leben ohne Plastik?!“ und „Das Ökosystem Wald im Wandel“ an.
Weltweite Graswurzelbewegung
Gerade für Stadtkinder ist es den Autoren der BfN-Studie zufolge wichtig, in artenreichen Gärten Natur zu erleben. So lernen sie unter anderem, im Erwachsenenalter auch die Arten zu tolerieren, die nicht nur „nett“ und “flauschig“ sind. Außerdem erteilten 67 Prozent der Befragten ihren Schulen einen ganz klaren Auftrag: Sie möchten mehr über Artenvielfalt wissen.
Urban Gardening © iStock/fotografixx
Urban Gardening kann diesen Wunsch erfüllen. Je mehr Schulen einen eigenen Schulgarten anlegen, je mehr Jugendzentren in den Städten Hochbeete, Kübel und Blumenkästen bepflanzen, desto stärker kann das Naturbewusstsein junger Menschen wachsen. Sie möchten das! Wie schnell sich der Gedanke zu einer lebenswerten Stadt verbreiten kann, hat die New Yorkerin Liz Christy schon vor fast fünfzig Jahren bewiesen. Aus ihrem Engagement wurde eine weltweite Bewegung, im wahrsten Sinne eine Graswurzelbewegung.
Das könnte dich auch interessieren: |
So kann Urban Gardening in Köln, Bonn und der Region aussehen
Ein eigener Garten ist in einer Stadt wie Köln oder Bonn nicht selbstverständlich. Urbaner Gartenbau liefert gerade deshalb viele Ideen zum Gärtnern in der Großstadt.
Gemüse und Kräuter in der Wohnung
Wer ein großes Fenster nach Süden hat, kann Tomaten auch in der Wohnung anbauen. Unser Tipp: Regelmäßig das Fenster öffnen, um die pralle Sonne auf die Tomaten scheinen zu lassen – so bekommen sie ein tolles Aroma.
Küchenkräuter wie Petersilie, Schnittlauch, Kresse, Thymian, Salbei und Oregano lassen sich in Töpfen auf der Fensterbank aussäen oder einpflanzen – drinnen und draußen.
Natur auf dem Balkon
Insektenweiden passen in den kleinsten Blumentopf sowie in Blumenkästen. Himbeer- und Johannisbeersträucher gibt es auch als Kübelpflanzen für den Balkon. Am Balkongeländer und an der Wand können Gefäße verschraubt werden. Aus hölzernen Obstkisten lassen sich Regale für Pflanzen bauen. Aus recyceltem Kunststoff gibt es die auch im Gartencenter, meist mit komplettem Bewässerungssystem.
Raus aufs Dach
Je mehr Grün in der Stadt, desto angenehmer das Klima in den heißen Sommermonaten. Dazu tragen Dachgärten bei. Wer Blumenerde auf einer Folie ausbreitet, sollte nicht allzu tief wurzelndes Gemüse wie z.B. Gurken anbauen. Dann bieten sich eher Radieschen, Spinat, Pflücksalat und Rucola an. Für Gurken, Tomaten und Paprika sind Wannen oder Kübel geeigneter. Nicht dekorativ, aber praktisch sind Säcke mit Blumenerde, die flach auf den Boden gelegt werden. Oben Löcher reinschneiden, Jungpflanzen einsetzen, wachsen lassen, ernten.
Hochbeete
Wenn der Boden im Innenhof versiegelt ist und deshalb nicht bepflanzt werden kann, ist ein Hochbeet eine prima Alternative. Es lässt sich entweder selbst aus Europaletten bauen oder im Handel inklusive Füllmaterial kaufen. Für die Füllung gilt: Unten grob, oben fein. Für die unterste Schicht können Äste im Wald gesammelt werden. Es folgen Holzschnitzel, Kompost und ganz oben Blumenerde. Ein Riesenvorteil von Hochbeeten: Schnecken lassen Kräuter, Salate und Erdbeeren relativ in Ruhe.
Schrebergärten & Kleingärten
Während der Corona-Pandemie wurden Kleingärten für viele Menschen zum idealen Rückzugsort. Deshalb ist die Nachfrage in Köln und Bonn riesig. Es gibt so gut wie keine freien Parzellen, die Wartelisten sind voll. Wer Geduld hat, findet alle nötigen Informationen in unserem Artikel Schrebergärten in Köln, Bonn und der Region.
Gemeinschaftsgärten
In Gemeinschaftsgärten finden sich Menschen meist ohne feste Vereinsstruktur zusammen. Sie teilen sich Beete, Saatgut, Wasserbehälter, Gewächshäuser, Hühnermobil und Eselweide. Häufig besitzt jeder zusätzlich ein eigenes kleines Beet. In Köln haben sich die entsprechenden Gärten zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, dem Netzwerk der Kölner Gemeinschaftsgärten. In Bonn listet der Verein Bonn im Wandel e.V. die Gemeinschaftsgärten auf.
Schul- und Kirchengärten
Kirchengemeinden denken zunehmend grün und bieten zum Teil das Gärtnern in Gemeinschaft an, z.B. im Kölner Kartäusergarten. Schulgärten erleben zurzeit eine Renaissance – häufig gärtnern Eltern, Kinder und Jugendliche zusammen. Klingt spannend, oder? Deshalb haben wir für Euch ein tolles Interview mit Lehrern und Schülern zum Konzept Schulgarten.
Mietgärten
Einzelne Bauernhöfe oder bundesweit aufgestellte Unternehmen bieten Mietgärten an. Ein fest umrissenes Stückchen Land kostet einen festen Betrag von mehreren Hundert Euro pro Jahr. Die Mietgärten befinden sich in der Regel direkt beim Bauern, der die Parzellen einheitlich mit Kartoffeln, Bohnen, Kohl u.v.m. vorbereitet. Im Hofladen gibt es Saatgut und Jungpflanzen. Gartengeräte und Gießkannen sind für alle da, Wasser wird vom Bauern bereitgestellt. Die ersten Mietgärten wurden von Meine Ernte eingerichtet. In Köln gibt es auch Mein Gemüseacker und Gartenglück.
Selbst ernten beim Bauern
Wer Lust hat, selbst zu ernten, findet im Rheinland zahlreiche Höfe dazu. Das Obst und Gemüse hat jeweils einen aktuellen Tagespreis pro Kilo. Die eigene Ernte wird abgewogen und bezahlt. Auch Blumen können einzeln gepflückt werden. Oft vertrauen die Landwirt:innen auf die Ehrlichkeit der Kund:innen und stellen nur eine Spardose für das passende Kleingeld auf.
Patenschaften für Baumscheiben und Beete
Viele Städte bieten ihren Bürger:innen Patenschaften für Bäume und Beete an. So eine Patenschaft muss offiziell angemeldet werden. Der Grund: Die Stadt muss ihrem Gartenservice mitteilen, welche Beete von Bürger:innen gepflegt werden, damit die Patenbeete nicht irrtümlich abgemäht werden.
Die Stadt Köln hat sogar Pflanz- und Pflegetipps auf ihrer Webseite zu Patenschaften für Baumbeete und Grünflächen.
In Bonn können Bürger:innen sich nicht nur für Baum- und Grünpatenschaften bewerben, sondern auch um größere Flächen wie zum Beispiel stillgelegte Spielplätze.
Blühschilder
Wer ein Beet an einem Bürgersteig pflegt, sollte ein Schild aufstellen. Vorlagen mit Hinweisen wie „Hier finden Insekten eine Heimat“ lassen sich aus dem Internet herunterladen. Das hält zumindest einige Menschen davon ab, ihr Fahrrad im Beet zu parken oder ihren Hund dort auszuführen.
Urban Gardening mit Kindern
Gute Tipps für Stadtfamilien mit grünem Daumen liefert euch das E-Book „Urban Gardening mit Kindern". Ihr findet darin vielfältige Ideen, wie ihr ein kleines Stückchen Grün in der Stadt gestalten und beackern könnt – vom Kleingarten über Balkon und Fensterbrett bis zum Gemeinschaftsgarten. Außerdem Infos zu „kinderfreundlichen" Pflanzen, dem richtigen Umgang mit Insekten, dem nötigen Werkzeug und viele DIY-Tipps.